Weben, töpfern, sägen oder feilen: Immer mehr Gestalter:innen arbeiten mit den Händen, genießen Entschleunigung, Imperfektion und das Eigenleben des Materials – oder kombinieren es mit dem Digitalen
Im Gropius Bau in Berlin wird gerade ein neuer Kosmos gewebt. Mit bunten Fäden und Papierstreifen und in einem dreidimensionalen Webrahmen, der so hoch ist, dass an seinen vier Ecken kleine Trittleitern nach oben führen. Dort werden Fäden aus recycelten Industriestoffen neu justiert und gespannt, während unten nach und nach bestechend schöne Textilskulpturen entstehen, deren feine Garne in die verschiedenen Richtungen lenken.
Ausgelegt hat sie die Designerin Hella Jongerius, die an der Design Academy Eindhoven Industriedesign studierte, für das Kollektiv Droog Design konzeptionelle Möbel und Objekte entwarf und seit Anfang der 1990er Jahre in ihrem Jongeriuslab (Rotterdam/Berlin) mit den Möglichkeiten von Materialien und mit Handwerkskunst experimentiert. Sie erprobt, wie diese dabei helfen können, eine nachhaltige, soziale und spirituelle Welt zu erschaffen, und zeigt, wie hoch aufgeladen Materialien mit Geschichte und Kultur sind, mit den Orten ihrer Herkunft, ihren Transportwegen rund um die Welt oder mit den Umständen ihrer Verarbeitung.
Form Follows Feeling
So wie das Weben – eine der ältesten Kulturtechniken der Welt –, das eine zentrale Rolle in der industriellen Revolution spielte, das als Grundlage für den digitalen Code gilt und seit Jahrhunderten für Gemeinschaft und Austausch steht. »Viele Hände arbeiten an einem einzelnen Produkt, in das Geschichten und Gespräche einfließen«, erklärt Hella Jongerius. Auch im Museum in Berlin, wo Publikum und Weber:innen aufeinandertreffen oder die Besucher:innen selbst Hand anlegen können, zusammen Seile flechten und sich so verbinden. Miteinander, mit der ganzen Welt und mit dem Kosmos.
Hella Jongerius arbeitet auch mit Holz, mit Porzellan, Ton oder Gummi, sie webt Solarfäden in Objekte ein, sodass sie sich je nach Lichteinfall bewegen. Sie möchte neue Welten schaffen, in denen Materialien viel mehr als nur schnöde Werkstoffe sind, sie will sie atmen und Geschichten erzählen lassen, sie dem Wissen der Hände überantworten, der Intuition und der Berührung.
Stofflichkeit ist für sie das Gegenstück zu unserer digitalen Welt. Auch wenn Hella Jongerius gar nichts gegen Bildschirme hat und gegen die Experimentiermöglichkeiten des Digitalen. Aber sie fordert einen Ausgleich und war damit lange eine Pionierin. Heute sind ihre Positionen hochaktuell. Gerade auch junge Gestalter:innen sind müde von der Digitalisierung, davon, unaufhörlich die Maus hin und her zu schieben oder mit einem Pen über ein Tablet zu fahren, den ganzen Tag auf den Bildschirm zu starren und Dinge zu entwerfen, die einzig im Digitalen existieren.