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BILD.MACHT.DESIGN – Veronika Illmer im Interview

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Veronika Illmer, leitende Artdirektorin der BILD Zeitung

 

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Die verantwortliche Artdirektorin der BILD-Zeitung Veronika Illmer spricht über das Design der BILD. Sie verrät, wie Zeitung und Gestaltung Hand in Hand gehen …

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BILD.MACHT.DESIGN. Seit jeher beschäftigen sich Zeitungsmacher, Zeitungsdesigner und Leser mit Form und Inhalt der auflagenstärksten Zeitung in Deutschland (2,44 Millionen Exemplare pro Tag). Jeder kennt sie. Keiner liest sie – angeblich. Doch viele sprechen anerkennend – wenn auch manchmal hinter vorgehaltener Hand – von der zielführenden typografischen Umsetzung: der großen Schrift, den Bildern und den Headlines.

Die BILD-Zeitung polarisiert. Hans. F. Krebs, der in den 80er Jahren den Studiengang »Pressedesign« in Deutschland begründete, hatte seinerzeit die Frankfurter Allgemeine und die Bild als einzigartige Tageszeitungen bezeichnet: »Die Informationskompetenz dieser beiden Blätter ist typografisch treffend visualisiert. Die Frankfurter Allgemeine berichtet sachlich, getragen von dem Streben nach subjektiver Wahrhaftigkeit aus Politik, Wirtschaft und Kultur; Bild hat die Kompetenz für Sensationalität, für Verzeichnung und für Aufbauschung.«

Diese Analyse trennt Informationskompetenz von typografischer Visualisierung und erklärt somit die Grundlagen des Zeitungsdesigns. Es geht darum, Inhalte grafisch darzustellen. Und das möglichst perfekt. Alle deutschen Zeitungen haben in den vergangenen Jahren ein Redesign hinter sich, um ihre Informationskompetenz typografisch zu verbessern – mehr oder weniger erfolgreich. Die F.A.Z. hat mittlerweile sogar ein Foto und Werbung auf der Titelseite. Die BILD-Zeitung scheint dagegen unverändert. Hier scheint die Form über jeden Zweifel erhaben zu sein. Ist bei der BILD etwa das optimale Design, die perfekte Form, verwirklicht?

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Veronika Illmer leitet seit 2001 die Artdirektion von BILD und BILD am SONNTAG. Sie studierte an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien, gestaltete eine Vielzahl von Magazinen, Büchern, Ausstellungskatalogen und Plakaten in ihrem Design-Büro. 1995 zog sie nach Hamburg und war dort u. a. Artdirektorin von »Prinz«, »TV-Movie«, »WELT am SONNTAG«. Für Axel Springer entwickelte sie auch Objekte in Paris und Warschau. Seit 2008 lebt sie in Berlin.

Ihr Team besteht aus sechs Artdirektoren für Print und Digital. An der Gestaltung der Marke arbeiten über 150 Print-Layouter, 50 Fotoredakteure, ein Team aus 100 ScreenDesignern und Programmierern, sieben feste Fotografen und die Infografik/Storytellingabteilung mit 20 Mitarbeitern.

Veronika Illmer empfängt mich für unser Gespräch in ihrem Büro im Axel Springer-Hochhaus, das exakt an der ehemaligen Mauergrenze liegt, die Ost- und West-Berlin bis zum Mauerfall trennte. Hier, im 16. Stock hat man einen spektakulären Blick über Berlin. Hier entgeht einem nichts. An einer Wand hängen etliche Auszeichnungen des Art Directors Club. In den Bücherregalen stehen mehrere Bücher, die sie für den Axel Springer Verlag gestaltet hat und auf dem Besuchertisch liegt die komplette Tagespresse. Und natürlich auch die BILD-Zeitung, in der mit rotem Stift einige Stellen streng markiert wurden.


Das Interview

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Stefan Knapp: Veronika, Du bist seit 13 Jahren verantwortlich für das Design der BILD-Zeitung und sitzt sozusagen in der Höhle der Löwen. Macht die BILD-Zeitung »böse« Typografie?

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Veronika Illmer: Böse Typografie gibt es nicht. Gute schon. Gut ist Typografie dann, wenn sie dem Inhalt die richtige Form gibt.

… und die Typografie der BILD ist gut?

VI: Sie funktioniert! Das ist unumstritten.

Wie und warum funktioniert die Typografie bei der BILD?

VI: BILD will klar, verständlich und originell sein. Das sind auch die Grundprinzipien, die wir bei der Typografie von BILD versuchen anzuwenden.

Ist das Dein gestalterischer Anspruch bei Deiner täglichen Arbeit?

VI: Mein Anspruch ist, genau zu sein. Klarheit ist das Fundament guter Gestaltung. Ich versuche den Inhalt in eine passende Form zu bringen. Ich will – man könnte sagen – wie eine Schneiderin jede Geschichte möglichst gut anziehen.

Kommt Dir dabei nicht manchmal der Inhalt in die Quere?

VI: Wenn alle den gleichen Blick hätten, würden wir nichts mehr erkennen. Boulevard ist immer Zuspitzung. Dabei bewegt man sich oft auf einem schmalen Grat. Achtsamkeit ist unerlässlich, aber ein zuviel an Vorsicht führt auch immer wieder auf den ausgetretenen Weg des Üblichen, Langweiligen. Man muss wissen wie man balanciert. Es gelingt nicht immer gleich gut.

Die Macht, mit der die BILD-Zeitung die öffentliche Meinung beeinflusst und wirtschaftlichen Einfluss nimmt, wird oft angegriffen. So beispielsweise bei Eurer kostenlosen WM-Sonderausgabe mit 42 Millionen Auflage, die quasi in den Briefkästen aller Haushalte in Deutschland lag. Beeinflussen diese Dinge die Gestaltung?

VI: Ich glaube nicht an die dämonische Macht, die BILD oft unterstellt wird. Schon gar nicht bei der kostenlose WM-Ausgabe, die in erster Linie die Vorfreude auf den Fußball-Sommer verbreiten wollte und mit 42 Mio. Auflage ein unvergleichliches Angebot für Anzeigenkunden ist. Das einzige, das die Gestaltung beeinflusst hat, war der Wunsch, Lust auf diese WM zu machen.

Glaubst Du, dass Designer für das, was sie gestalten, verantwortlich sind? Ich meine dabei die Auswirkungen. Du arbeitest bei einer sehr meinungsbildenden Zeitung. Muss ein Zeitungsdesigner politisch sein? Bist Du ein politischer Mensch?

VI: Ich verfolge jedenfalls keine politische Agenda. Ohne politisches Interesse wäre es aber schwierig, bei einer Zeitung zu arbeiten. Wenn du unter einem politischen Menschen jemanden verstehst, der das öffentliche Leben verfolgt und versucht seinen Standpunkt dazu zu finden, ja, dann bin ich ein politischer Mensch. Und natürlich ist jeder dafür verantwortlich, was er macht.

Dein Chef bei der BILD ist Kai Diekmann. Welche Rolle spielt für ihn die Gestaltung der Zeitung und wie ist die Zusammenarbeit mit ihm?

VI: Alles bei BILD ist Team, aber alles hängt auch an Kai Diekmann. Er ist der Motor. Für alles. Die Zusammenarbeit mit ihm ist ein furioses Spektakel.

Das klingt ja spannend. Ein furioses Spektakel also …

VI: Ja, voller Überraschungen, mit Tempo und nicht immer unanstrengend.

Wie lange kennst Du Kai Diekmann schon?

VI: Ich habe Kai Diekmann 1998 bei der »WELT am SONNTAG« kennengelernt. Es war eine kreative, spielerische Zusammenarbeit und wir hatten sehr viel Spaß dabei, dieses Flagschiff WamS zu verändern. Und 2001 begann das Abenteuer BILD. Zwischendurch wollte ich mich von diesem Abenteuer erholen, nahm 2013 ein Jahr Auszeit und bin durch Südamerika und Nordafrika gereist.

Brauchtest Du eine kreative Pause?

VI: Es war einfach wichtig für mich rauszukommen, andere Lebensentwürfe und -notwendigkeiten zu sehen. Zurück im Maschinenraum ist doch erstaunlich viel geblieben, vom Gefühl der Freiheit, des Nicht-alles-zu-wichtig-nehmens/machens.

Deine Reise war wohl sehr inspirierend. Apropos: Wie kommst Du zu Deinen Ideen?

VI: Durch Schauen, Gesehenes neu Einordnen, Assoziieren und Kombinieren und dem Wunsch, es nicht schon wieder so wie gestern und vorgestern zu machen.

Du hast Design studiert. Wie bist Du zum Zeitungsdesign gekommen?

VI: Ja, ich habe an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien Grafik studiert, habe dann eher durch einen Zufall bei der österreichischen Wochenzeitung »Falter« das erste Mal Redaktionsluft geschnuppert und gemerkt, das mag ich. Gelernt habe ich damals vor allem von meinem Kollegen Rainer Dempf, der mir die Liebe zur Typografie und das genaue Schauen nahe gebracht hat. Ich hatte auch das Glück mit hervorragenden Chefredakteuren zusammenzuarbeiten, die mir Leidenschaft, Hinterfragen, in Zweifel ziehen vorgelebt haben. Es war nie langweilig.

Zurück zu Deiner Arbeit. Wie entstehen Eure Seiten?

VI: Alles beginnt im Newsroom im 16. Stock. Hier kommen alle Geschichten zusammen, aus den Ressorts, den Regionalredaktionen, von den Reportern, den Fotoredakteuren und den Agenturen. Hier werden aus Nachrichten Geschichten und aus Geschichten die gestaltete Zeitung. Permanent weitererzählt auf BILD.DE und gedruckt am Kiosk.

Wie arbeiten die Designer mit den Redakteuren zusammen?

VI: Nachdem im Newsroom die Ideen, die Fotoauswahl, die Richtung und Gewichtung der Geschichten und deren Verteilung im Blatt beschlossen wurden, arbeiten Designer und Redakteure im jeweiligen Ressort zusammen an den Seiten. Jede Seite hat ihre eigene kleine Blattmacher-Gestalter-Einheit, die sehr effektiv und direkt alle Veränderungen, Weiterentwicklungen umsetzen kann.

Könntest Du bitte ein Beispiel geben?

VI: Nehmen wir die letzte Seite, den Klatsch. In der Regel werden zwei größere Themen mit Artdirektion, Blattmacher, Ressort festgelegt und zwei, drei wichtige Fotos bestimmt, im Idealfall mit Headlines. Wir machen kein genaues Scribble, eher eine Skizze. Dann bauen Designer und Redakteur die Seite im Show-Ressort. Früher saßen alle Designer mit Artdirektion und Blattmachern in einem Großraum, jetzt layouten wir direkt in den Ressorts – schon aus der räumlichen Trennung entwickelt sich eine größere Eigenverantwortung und ein größerer Spielraum für den Designer, Layouter.

Welches sind Eure besten Seiten?

VI: Die Dynamik großer Ereignisse schafft oft großartige Zeitungsseiten. BILD ist besonders stark, wenn die Titel-Seite monothematisch ist. Entweder, weil das Ereignis über das wir berichten, so bedeutsam ist oder weil die Redaktion eine Idee hat, die so originell ist, dass sie selbst zum Ereignis wird. Zum Beispiel hat uns die Meldung, die klassische deutsche Schreibschrift verschwinde immer mehr und mehr, zu einer handgeschriebenen Titelseite inspiriert. Sehr gerne mochte ich die Serie zu der Ausstellung »60 Jahre 60 Werke. Kunst aus Deutschland 1949 bis 2009«. 60 Tage lang brachten wir jeden Tag eine ganze Seite (oder zumindest den Großteil einer Seite) für ein Kunstwerk – hat gezeigt, wie BILD es schafft, hochwertige Themen, die ein besonderes, sehr spezielles Licht auf die Entwicklung der Bundesrepublik zeigen, massenkompatibel zu transportieren. Und natürlich die XXL-BILD in doppeltem Format – mit Kati Witt im Maßstab 1:1 – eine millionenfache Installation auf Zeitungspapier.


Titelblatt der BILD-Zeitung vom 12. September 2001.


Gab es auch Flops?

VI: Natürlich.

Welche? Verrätst Du einen?

VI: Da würde ich jetzt gerne die Karte ziehen: Der Angeklagte hat das Recht zu schweigen …

Na gut. Die Beispiele zeigen, dass vieles über die Headlines – die Sprache – wirkt. Was ist wichtiger: Bilder oder Headlines?

VI: Bild und Headline gehören zusammen. Nur wenn beide gut sind, wird es gut.

Wer textet bei Euch die Headlines?

VI: Ideen kommen vom Praktikant bis zum Blattmacher, der Blattmacher entscheidet.

Lass’ mich bitte nochmals auf das Design zurückkommen. Warum sieht die BILD-Zeitung eigentlich so aus, wie sie aussieht?

VI: Eine einfache Formel. Soll ich sie verraten?

Selbstverständlich.

VI: Die BILD-Zeitung ist jeden Tag die Summe der relevanten, amüsanten und ungewöhnlichen Ereignisse eines Tages multipliziert (bzw. in Einzelfällen dividiert) mit der Summe der Sichtweisen ihrer Redakteure und Gestalter.

Aha! Aber ändert sich am Design der BILD-Zeitung nichts? Sieht sie nicht immer gleich aus?

VI: Die BILD sieht nicht immer gleich aus, sie verändert sich stetig. Diese Veränderungen werden oft nicht wahrgenommen, weil das Logo, also die BILD-Marke so stark ist und die Headline-Typo der Titelseite – immer noch wie seit den 60ern – meistens die Helvetica Inserat so prägend ist.

Welches sind oder waren die entscheidenden Veränderungen in den letzten Jahren?

VI: Es gab viele Veränderungen, die aber nie den Markenkern drehen, sondern ihn bereichern wollten. Zum Beispiel haben wir 2006 eine Serifenschrift – die Escrow – als Headlineschrift eingeführt, damals im Boulevard absolut unüblich. Gleichzeitig haben wir ein sehr genaues Raster entwickelt, jede Linienstärke ist definiert, jeder Abstand. Ein Modulsystem, das die Seiten mit großer Geschwindigkeit sehr frei gestalten und sie doch immer ins System passen lässt.

Viele Designer haben sich am Redesign der BILD versucht. Welche Qualität haben die Entwürfe, die in der Schublage liegen?

VI: Die Schubladen sind leer.

Okay!? (Pause) Wie sieht die Zukunft der BILD-Zeitung aus? Wird es sie in 10 Jahren in dieser Form noch geben?

VI: Ich bin überzeugt, dass BILD in 10 Jahren weiterhin die größte gedruckte und die größte digitale Zeitung in Deutschland ist.

Axel Springer, das heißt BILD steht auch für digitalen Fortschritt und für Innovation. Woran arbeitest Du gerade?

VI: Wir vernetzen die Kanäle. Das heißt, die entscheidende Frage im derzeitigem Stadium der Digitalisierung lautet: Wie optimieren wir den Weg einer Nachricht, einer Geschichte zum Leser/User in allen Kanälen, also gedruckt, online, mobil, im Video, in der App? Und was kommt danach? Für eine Marke wie BILD ist es nicht so entscheidend in welchem Format oder Kanal eine Geschichte spielt. Entscheidend ist: es ist IMMER eine BILD-GESCHICHTE. The brand takes it all!

Und das wirst Du uns beim SND-Kongress in Frankfurt präsentieren?

VI: Ja.

Wir freuen uns darauf. Ich bedanke mich sehr für das Gespräch.

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Das Interview mit Veronika Illmer führte Stefan Knapp, Regionaldirektor der Society for News Design und Organisator des SND-Kongresses, der vom 25. bis 27. September in der Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main stattfinden wird (www.snd2014.de).

Titelblatt der BILD-Zeitung vom 12. September 2011
Bild: BILD
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Kunstaktion »60 Jahre, 60 Werke« in der BILD-Zeitung vom 31. März 2009
Bild: BILD
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Design der BILD-Zeitung vom 27. Juni 2012
Bild: BILD
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Bilder und Headlinge gehören bei BILD immer zusammen – Titelseite vom 17. April 2010
Bild: BILD
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Monothematische BILD-Titelseite vom 20. April 2005
Bild: BILD
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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Also ich lese tatsächlich keine Bild-Zeitung. Ich brauche meine Hirnzellen noch.

  2. Schade, dass sie sich beim Aspekt ‘Verantwortung’ so zurückgehalten hat. Bei der aufgestellten Formel vermisse ich im Übrigen die Abhängigkeiten vom finanziellen Gewinn bei gleichzeitiger Täuschung der Leser.

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