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Doris Pfleger: »Der Grat zwischen cool und uncool liegt wahnsinnig nah beieinander«

Kultur entsteht heute in Communities – angetrieben von einer Generation, die Trends schneller formt, als Studien sie erfassen können. Doris Pfleger von Max & Doris erklärt, was das für Marken heißt.

junge blonde frau in einem dunklem Outift, sitzend auf einer Ledercouch in einem weißen Studio.Bild: FINN BUENDERTDoris, wie steht Markenkommunikation, gerade im Hinblick auf die Gen Z, heute da und was hat sich in den letzten Jahren aus deiner Sicht verändert?

Doris: In Branding und Markenkommunikation verschiebt sich seit einigen Jahren vieles. Um das zu greifen, haben wir uns in den letzten drei Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigt und geforscht. Wir wollten verstehen, wie Trends entstehen, wo sie herkommen, wie sie sich verbreiten und wie Marken heute kommunizieren müssen, um überhaupt noch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung stattzufinden. Früher reichte eine klare CI mit festen Guidelines. Marken konnten relativ statisch kommunizieren, und sie waren es, die die Kultur geformt haben. Das ist heute anders. Kultur entsteht heute nicht mehr von oben, sondern in Communities. Die Empfänger sind selbst zu Sendern geworden.

Was heißt das für Marken?

Erfolgreiche Marken müssen verstehen, was Menschen emotional wirklich abholt. Wir schauen uns an, mit welchem Ideal-Selbstbild sich Konsument:innen identifizieren wollen – und wie Marken genau dort andocken können. In Deutschland wurde diese emotionale Kommunikation in den letzten Jahren oft durch rein funktionale Benefits ersetzt. Aber genau diese »Aspirational« Meta-Ebene schafft Begierde. Darauf baut man dann eine Welt und eine Community auf. Wir nennen das World Building: eine flexible Markenwelt statt eines starren Korsetts. Das heißt, Marken müssen heute in echten Dialog gehen. Es reicht nicht mehr, wenn eine Kampagne schön aussieht – sie muss eine Konversation auslösen. Niemand spricht mehr über TV-Spots, sondern über das, was auf Social Media passiert. Und dort kommt nur durch, was relevant ist, Emotionen weckt und sich in bestehende kulturelle Codes einfügt, sonst geht es im Algorithmus unter. Genau hier entsteht auch eine große Chance für Designer:innen: menschliches Feingefühl wird immer wichtiger. Man muss die Codes spezifischer Communities und Nischen wirklich verstehen. Der Grat zwischen cool und uncool liegt heute wahnsinnig nah beieinander.

Was habt ihr in eurer Forschung über die Entstehung von Trends gelernt – und wie wendet ihr das konkret an?

Wir haben über 2.000 Datenpunkte und Trends analysiert und dabei erkannt: Kultur verbreitet sich nach klaren Mustern. Sie entsteht oft in Alphastädten wie New York oder London, wandert dann in Betastädte wie Berlin oder Oslo und erreicht am Ende Städte wie Köln oder Dortmund. Ein gutes Beispiel ist der aktuelle Techno-Hype: Er kam aus einer kleinen, meinungsstarken Subkultur, wurde immer größer – und ist heute komplett Mainstream. Wenn IKEA plötzlich ein Techno-Kinderzimmer verkauft, weiß man: Die Subkultur ist im Massenmarkt angekommen. Dieses Prinzip sehen wir auch in unserem Case mit der Beauty-Brand OYESS: Wenn Marken echte kulturelle Relevanz aufbauen, entstehen starke Netzwerkeffekte. Tausende junge Frauen wollen Teil dieser Community sein, kaufen die Lipbalms und produzieren begeistert eigenen Content dazu. Das passiert, weil eine emotionale Bindung da ist. Spannend ist: Kultur entsteht fast immer in jungen Zielgruppen – aber sie bleibt nicht dort. Ältere Zielgruppen springen mit auf, sobald sich Trends weiterverbreiten. Unsere Analysen zeigen, dass rund 90 Prozent neuer kultureller Bewegungen ihren Ursprung in jungen Communities haben. Das ist logisch: Wer studiert oder generell flexibler lebt, hat Zeit, sich intensiv mit neuen Ästhetiken, Plattformen und Szenen zu beschäftigen. Und durch die Diffusion werden diese Trends irgendwann für alle relevant – nicht nur bei Kulturthemen, sondern auch bei neuen digitalen Plattformen.

»Viele neue, kleinere Marken machen das gut vor: Sie haben einen Vibe, kommunizieren auf einer emotionalen Ebene einen Need und bauen darum eine Welt.«

Wie schaffen Marken denn wirklich relevanten Content und worauf kommt es dabei in der Gen Z an?

Marken müssen Content erzeugen, den die Menschen freiwillig konsumieren. Er darf nicht werblich sein, sondern muss menschlich sein. Viele neue, kleinere Marken machen das gut vor: Sie haben einen Vibe, kommunizieren auf einer emotionalen Ebene einen Need und bauen darum eine Welt. Ein Dialog klappt nur, wenn man als Marke die Menschen auf einer emotionalen, tieferen Ebene erreicht und nicht nur das eigene Produkt postet und sagt: Das ist jetzt cool. Es heißt ja oft, die Gen Z möge keine Marken. Das stimmt aber nicht. Wenn sie sich angesprochen fühlt, wird sie zu extrem loyalen Fans. Ein Low-Involvement-Produkt kann dann zum High-Involvement-Produkt werden, wenn die Marke einen tieferen Sinn bekommt. Dabei kommt es auch auf den »Aspirational«-Faktor an, also darauf, dass Marken so kommunizieren, dass man sich damit identifizieren kann und will. Ein Asset mit Logo, wo sonst nichts passiert, bringt nichts. Du musst viele Menschen dazu bewegen, deine Marke cool zu finden. Das machen Marken heute aber viel zu wenig!

Wie gelingt es euch als kleine, aufstrebende Agentur, kulturelle Codes entschlüsseln und immer am Zeitgeist zu bleiben?

Wir sind selbst Teil der Kultur – wir leben das, worüber wir sprechen. Dadurch sind wir automatisch nah am Zeitgeist. Neben unserem Kernteam arbeiten wir ganz bewusst mit Menschen aus verschiedenen Subkulturen zusammen. Viele von ihnen gehören direkt zur Zielgruppe. Das hilft uns, kulturelle Codes wirklich zu verstehen. Und Menschen spüren das: Wenn Marken authentisch sind, wollen sie ein Teil davon sein – nicht, weil man es ihnen sagt, sondern weil sie es wirklich fühlen. Ich persönlich bin schon mit 14 in die Branche eingestiegen und durfte dadurch extrem früh Erfahrungen sammeln. Diese Nähe zur Zielgruppe ist bis heute ein riesiger Vorteil für uns. Und am Ende machen wir das, weil wir es lieben. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen automatisch – wir stecken einfach wahnsinnig viel Herzblut in das, was wir tun.

Welche Trends seht ihr denn aktuell, die die Kultur auch hier bald bestimmen werden?

Was wir sehen, ist, dass Performance und Selbstoptimierung immer wichtiger werden. Das ist jetzt wieder der Gegenpol zur Techno- und Partyphase: Longevity, Selbstoptimierung, Health-Themen, Running Clubs, Tracking von Gesundheitsdaten etc. Das ist auch kein Wunder, denn keine Generation ist mit so vielen Krisen, Stress und Pandemien aufgewachsen wie die Leute aus der Gen Z, die unsere die Kultur formen. Der Trend zur Selbstoptimierung ist eine Sache, wo Menschen das Gefühl haben, dass sie es selbst in der Hand haben, es selbst beeinflussen können. Und die Generation danach wird sich wieder abgrenzen und das Gegenteil leben – das sehen wir in der Musik zum Teil bereits jetzt.

Max und Doris, Kreativagentur Max & Doris Bild: FINN BUENDERT

»Die Menschen fühlen sich zugehörig und teilen Inhalte freiwillig.«

Wie können Marken solche Trends früh für sich nutzen?

Wenn man weiß, welche kulturellen Entwicklungen auf uns zukommen, kann man die Marke darauf ausrichten. Viele Marken kommunizieren generisch und alle irgendwie gleich. Marken müssen wieder zu Aspirational Lifestyle-Marken werden und dürfen keine Angst vor Veränderung haben! Nur dann schaffen sie kulturelle Relevanz. Ein gutes Beispiel dafür ist die Marke OYESS, die wir ganz aktuell völlig neu erfinden durften. Mit dem »Selfcare Wellness Club« haben wir eine Community rund um die Marke auf dem Selbstoptimierungs-Trend aufgebaut, mit Events für die Community und einer Plattform für den Austausch. Die Menschen fühlen sich zugehörig und teilen Inhalte freiwillig. Dazu gehört auch ein flexibles Designsystem. Marken müssen heute mit kulturellen Strömungen mitfließen können – sei es durch typografische Trends, visuelle Codes oder durch Anknüpfungen an Subkulturen.

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Ihr seid plötzlich super erfolgreich, unterwegs auf Panels, taucht in Rankings auf, die Medien schreiben, ihr mischt die Branche auf. Welche Ziele habt ihr für Max & Doris für die Zukunft?

Unser Ziel ist es nicht die nächste größte Agentur zu werden oder so. Denn das, was wir täglich machen, ist unser wichtigster Lebensinhalt, wir brennen einfach dafür! Wir wissen nicht genau, wohin uns das langfristig führt. Aber solange wir spüren, dass wir durch unsere Arbeit Impact schaffen und wir Marken erfolgreicher machen können, wollen wir einfach genau so weitermachen. Denn dann sind wir am glücklichsten.

Über Doris:

Doris Pfleger ist Co-Founderin der Kreativagentur Max & Doris und gehört u. a. zu den Top 50 Creatives von PAGE. Die Agentur ist spezialisiert auf Community- und World-Building und arbeitet für Marken wie die Rügenwalder Mühle. Zudem verantwortete Max & Doris das internationale Rebranding der Skincare-Brand OYESS.

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