Wir interviewten Amy Chan und Silke Junker-Mirshahi, die im Service Design bei der Digitalagentur SinnerSchrader in Hamburg arbeiten …
Amy Chan und Silke Junker-Mirshahi, beide 36, arbeiten im Service Design der Digitalagentur SinnerSchrader in Hamburg, jedoch mit unterschiedlichen Profilen und Aufgaben. Wir fragten sie, was es braucht, um ein guter Service Designer zu sein, und was der Job mit sich bringt.
PAGE: Welche Ausbildung habt ihr gemacht? Amy Chan: Ich habe an der University of Technology in Sydney Visuelle Kommunikation studiert und als Designerin gearbeitet. Dann bin ich ins Marketing bei Sony gewechselt und habe danach in verschiedenen Agenturen gearbeitet. Meistens ging es bei meiner Arbeit um die Planung und Strategie von klassischer und digitaler Werbung. Bei der Londoner Digitalagentur MediaCom saß ich in der Innovationsabteilung. Dort habe ich das sich verändernde Konsumentenverhalten im Umgang mit neuen Technologien erkundet und analysiert, welche Möglichkeiten sich hier für neue Services und Kommunikationsformen ergeben.
»Ich wollte digitale Services und Plattformen gestalten, die Menschen echten Mehrwert bringen« Amy
Wie kamst du dann zum Service Design – und nach Hamburg? Chan: Ich war die Konzeption von Kommunikationsstrategien leid. Stattdessen wollte ich digitale Services und Plattformen gestalten, die Menschen echten Mehrwert bringen. Werbung bewegt sich auf einem sehr emotionalen Level, während Service Design wirklichen Nutzwert bietet und eine andere Verbindung mit dem Kunden schafft. Nach Hamburg hat mich die Liebe geführt. Ein Freund in London machte mich auf SinnerSchrader und ihre NEXT Conference aufmerksam, und mir wurde schnell klar, dass die Agentur perfekt zu mir und der Richtung, die ich einschlagen wollte, passt. Die Agentur suchte zu diesem Zeitpunkt gerade einen Strategen, und nach einem ersten Vorstellungsgespräch via Skype konnte ich direkt anfangen, als ich nach Hamburg kam.
Silke, du hast ursprünglich Architektur studiert. Wie bist du im Service Design gelandet? Silke Junker-Mirshahi: Ich habe schnell nach meinem Studium gemerkt, dass mir die Arbeit als Architektin nicht reicht. Mir haben die Schnelligkeit und der eigene Gestaltungsfokus gefehlt, die es im Studium noch viel stärker gab. Daraufhin habe ich zunächst die Öffentlichkeitsarbeit des Architekturbüros übernommen, bei dem ich arbeitete, und nebenher Kommunikationsdesignkurse an der Hochschule Darmstadt belegt. Ich wechselte dann zu einer Agentur für integrierte Kommunikation, wo ich im Design, im Konzept und im Projektmanagement tätig war. SinnerSchrader lernte ich durch die Zusammenarbeit der beiden Agenturen kennen und war gleich begeistert. Schließlich brach ich meine Zelte in Hessen vollständig ab, kam nach Hamburg und fing in der Konzeption bei SinnerSchrader an.
»Werbung bewegt sich auf einem sehr emotionalen Level, während Service Design wirklichen Nutzwert bietet« Amy
Warum gerade in der Konzeption? Junker-Mirshahi: Architekten konzipieren Häuser in ihrer ganzen Komplexität. Sie müssen nicht nur daran denken, welche Raumerlebnisse ein Gebäude seinen Nutzern bieten soll, sondern auch daran, welche funktionalen, rechtlichen und technischen Anforderungen eingehalten werden müssen, beispielsweise bei Fluchtwegen oder der Anzahl von Sanitäranlagen. Von daher war ich schon gut ausgebildet darin, ganzheitlich zu planen. Auch Konzepter im digitalen Umfeld müssen sehr strategisch mit Komplexität und Abstraktion umgehen können, vor allem im Bereich User Experience.
Empfindet ihr euch selbst als Service Designer? Chan: Service Design ist Teil meines Jobs, aber ich bin eher Stratege. Die Disziplin an sich hat sich erst in den vergangenen fünf Jahren richtig herausgebildet, und es gibt bisher kaum ausgewiesene Ausbildungswege. Aus diesem Grunde kommen im Service Design Leute mit den unterschiedlichsten Hintergründen zusammen – darunter Designer, UX Designer, Strategen, Texter oder auch Psychologen.
Das ist das Tolle an Service Design: Es ist nicht auf eine Sichtweise festgelegt. Natürlich muss man sich auch hier an einen methodischen Prozess halten, aber prinzipiell kann jeder mit einem offenen, kreativen Mindset daran mitwirken. Gegenwärtig bilden sich neue Ausbildungsangebote heraus – zum Beispiel an der Royal Academy of Arts in London oder am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam. Ich denke, das wird in den kommenden Jahren noch weiter zunehmen.
»Man muss ein Teamplayer sein, der Diversität als Bereicherung begreift und grundsätzlich positiv denkt« Silke
Junker-Mirshahi: Ich sehe mich ganz klar als Service Designerin. Letztlich ist jedes digitale Interface eine Art Service-Frontend. Das Spannende im Service Design ist, dass man größer denkt und designt. Die Grundprinzipien und Methoden sind die gleichen wie im Bereich User Experience.
Welche Kompetenzen muss ein Service Designer mitbringen? Chan: Empathie ist ein ganz wichtiger Faktor. Als Stratege sollte man natürlich auch das Businessmodell und das Marktumfeld des Auftraggebers verstehen, damit man Serviceökosysteme entwickeln kann, die zum Geschäft passen. Recherche ist ein äußerst wichtiger Teil unserer Arbeit. Wir sammeln Informationen aus allen möglichen Quellen, wie Studien, Marktforschungen und Unternehmenshistorien, und filtern daraus die Schlüsselinformationen für das jeweilige Projekt heraus.
Menschen, die Recherche vernachlässigen, finde ich ignorant. Niemand kann genau wissen, was Kunden wollen. Das fängt schon beim Altersunterschied an. Auch ich kenne mich nicht mehr in der Lebenswelt einer 20-Jährigen aus. Das Konsumentenverhalten hat sich in den letzten Jahren dermaßen rasant verändert, dass man potenzielle Nutzer immer wieder aufs Neue befragen und untersuchen muss. Wenn man auf diesen sehr wichtigen Co-Creation-Prozess verzichtet, basiert die gesamte strategische Arbeit nur auf den eigenen Annahmen und Werten.
»Wir kreieren keine Kampagnen, die am nächsten Tag wieder vergessen sind, sondern nützliche und durchdachte Services« Amy
Junker-Mirshahi: Man braucht zudem ein großes Maß an Experimentierfreude sowie schöpferisches Denken und Kreativität, um die versteckten Bedürfnisse zu identifizieren und immer wieder in komplett neue Richtungen zu denken. Zugleich muss man als UX-Konzepter strukturiert denken, alle Aspekte in Betracht ziehen und auf die wichtigsten Funktionen herunterbrechen – also abstrahieren und vereinfachen. Da man als Service Designer sowohl mit dem Endkunden als auch mit dem Auftraggeber direkt zu tun hat, ist es wichtig, dass man seine Gedanken und Ideen verständlich präsentieren kann. Und man muss ein Teamplayer sein, der Diversität als Bereicherung sieht und grundsätzlich positiv denkt.
Welche Tools sind wichtig? Chan: Als Stratege muss man die Recherche am Bildschirm beherrschen. Wir lesen eine Menge Studien und Businessanalysen und erstellen sogar eigene Untersuchungen, etwa zur digitalen Affinität der »NEXT Generation«.
Junker-Mirshahi: In Sachen Konzeption sind sämtliche Visualisierungstechniken und -materialien ein Muss. Außerdem sollte man mit Axure oder einem anderen gängigen Prototyping-Tool wie Proto.io, Avocado oder Flinto umgehen können, um ein sogenanntes Minimum Viable Product erstellen zu können. Diese Dummys haben gerade genug Features, um mit Usern zu testen, ob das Produkt am Markt Bestand haben könnte. Diese Erkenntnisse verhindern Kosten und Risiken.
Wie arbeitet ihr zusammen? Wo überschneiden sich eure Bereiche? Chan: Die anfängliche Recherche liegt vor allem bei mir. Wenn die abgeschlossen ist, initiiere ich den Kick-off des Projekts. Ab diesem Zeitpunkt arbeiten wir zusammen, erstellen Personas und Customer Journeys und veranstalten Workshops. Dabei nehmen wir unsere unterschiedlichen Perspektiven ein: Mir geht es hauptsächlich um Businessaspekte, und Silke hat die Nutzersicht im Blick.
Junker-Mirshahi: Sobald es um die konkrete Serviceidee geht, die entworfen und gescribbelt werden soll, sind die Konzepter gefragt. Der Stratege checkt das Ergebnis mit Blick auf die Frage, ob es zum Markt, zum Auftraggeber und in seinen Unternehmenskontext passt. Bildlich gesprochen richte ich das Mikroskop auf den Nutzer, während Amy einige Meter höher fliegt und sich ein Bild von der umgebenden Situation im Umfeld des Auftraggebers verschafft.
Wie kommen bei euch Aufträge für Service Design rein? Chan: Von einigen Kunden haben wir langfristige Beratungsaufträge. Wir informieren sie, wenn uns Trends auffallen oder sich Umwälzungen am Markt ankündigen. Wir beobachten für sie, wie sich das Konsumentenverhalten verändert und wie die Vielzahl an unterschiedlichen Geräten oder Makrotrends wie die Share Economy, autonomes Fahren oder Artificial Data Intelligence ihren Markt beeinflussen. Aus dieser Betrachtung heraus können sich dann Projekte und Aufträge ergeben.
»Sind wir bei der Umsetzung dann noch in die Change-Prozesse im Unternehmen eingebunden, wird es richtig spannend« Silke
Junker-Mirshahi: Die meisten Kunden treten mit konkreten Projektanfragen an uns heran, die wir individuell, aber immer nach unserem Service-Design-Modell bearbeiten: Recherche, Ideenentwicklung, Prototyping und Evaluation (siehe »Der Service-Design-Prozess«).
Was fasziniert euch an eurem Job? Chan: Ich finde es immer wieder großartig, unsere Rechercheergebnisse zu nutzen, um einen realen Mehrwert für die Nutzer zu generieren. Wir kreieren keine Kampagnen, die am nächsten Tag wieder vergessen sind, sondern nützliche und durchdachte Services, die idealerweise auch noch Spaß machen.
Junker-Mirshahi: Mich fasziniert vor allem, was aus der direkten Interaktion mit Nutzern, Experten und Kunden entsteht. Das interdisziplinäre Potenzial dieser Co-Creation ist unglaublich!
Was waren bisher eure spannendsten Projekte? Junker-Mirshahi: Das sind eher Projekte, über die wir nicht sprechen dürfen. Da geht es beispielsweise um interne Softwaresysteme, die teilweise vollkommen krude Interfaces und verrückte Shortcuts aufweisen. In diese Welt muss man tief eintauchen, um wirklich zu verstehen, was die Nutzer wollen und brauchen. Das ist wie Gehirnjogging! Wenn wir bei der Umsetzung dann noch in die Change-Prozesse im Unternehmen eingebunden sind, wird es besonders spannend.
Welches Projekt würdet ihr als Service Designer gerne mal umsetzen? Junker-Mirshahi: Ich finde es spannend, in großen Konzernen etablierte Silos zu überwinden und dort gemeinsam nachhaltige Services zu schaffen, um das alltägliche Arbeiten zu verbessern.
Chan: Ich würde gerne mal an einer konkreten Anwendung für wohltätige Zwecke arbeiten und habe da auch schon eine Idee für einen Service im Kopf.
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