Mit dem Redesign durch die Peter Schmidt Group wird die Deutsche Bahn menschlicher, nahbarer und empathischer.
Bild: Andreas Klingberg
Wenn man mit einer Marke zu tun hat, an der bereits Kurt Weidemann und Erik Spiekermann mitgearbeitet haben – und die in Deutschland eine Markenbekanntheit von 100 Prozent genießt –, kann einem schon mal mulmig werden. Entsprechend ehrfürchtig und respektvoll, aber zugleich unverzagt und entscheidungsmutig gingen die Markenstrategen und Designer von der Peter Schmidt Group an die Aufgabe heran, die Marke der Deutschen Bahn vom technischen Auftritt eines Staatskonzerns zu befreien und wieder emotional an ihre Kunden heranzuführen. »Die Bahn braucht mehr Freunde« war der erklärte Wunsch der Auftraggeber – und führte zu einem Projekt, bei dem die zentrale Frage lautete: Welche Möglichkeiten gibt es für die Marke, in unterschiedlichen Situationen auf die individuellen Wünsche ihrer Kunden einzugehen? Kurz: Wie geht Empathie im Corporate Design?
Der Anfang: Wo wollen wir hin?
Nachdem sich die Design- und Brandingagentur im Sommer 2017 im Pitch durchgesetzt hatte, ging es im ersten Schritt darum, den Kunden kennenzulernen. »Natürlich hatten wir schon eine Vorstellung davon, was wir tun wollten. Aber es ist immer wichtig herauszufinden, was nicht im Briefing steht. Das geht am besten in gemeinsamen Workshops«, so Creative Director Felix Damerius. In diesen stellten die Kreativen schnell fest, wie stark sich die Außenwahrnehmung der Deutschen Bahn von der Innenperspektive unterscheidet: »Wir waren überrascht, dass das Unternehmen viel moderner organisiert ist, als man es als Außenstehender erwartet hatte«, erinnert sich Damerius. Teilweise gebe es sehr eigenständig agierende digitale Spin-offs wie Vendo oder Ioki, aber auch Initiativen wie Smart City, bei denen die Bahn die zentrale Lage ihrer Bahnhöfe nutzen will, um sie zu Hubs einer immer digitaleren Gesellschaft weiterzuentwickeln. All das assoziieren die wenigsten Menschen mit der Deutschen Bahn – entsprechend galt es, diese Themen verstärkt nach außen zu kehren.
Bild: Andreas Klingberg
Gleichzeitig war allen Projektbeteiligten bewusst, dass dies nicht über Nacht möglich sein würde: Mehr als 300 000 Mitarbeiter müssen bei der Veränderung mitgenommen, aber auch eine Vielzahl von Plattformen und Apps ohne Einschränkungen im laufenden Betrieb angepasst werden. Eine solche Implementierung ist ein langwieriger Prozess. Für das Design wiederum bedeutet das: Es darf nicht modisch sein, sondern muss über Jahre funktionieren und flexibel erweiterbar sein. »Als Gestalter ist einem bewusst, wie selten es vorkommt, dass Großunternehmen ihren Auftritt verändern. Man weiß genau: Diese Chance, etwas am Design für die Deutsche Bahn zu machen, habe ich wahrscheinlich nur einmal in meinem Leben«, so Damerius.
Um zu definieren, in welche Richtung sich die Deutsche Bahn entwickeln sollte, nutzte die Peter Schmidt Group das agentureigene Brand-Neuroscape-Modell, das auf Erkenntnissen aus der Neurowissenschaft und der Verhaltensökonomie beruht. »Das Neuroscape-Modell ist wie eine Landkarte der emotionalen Befindlichkeiten«, erläutert Managing Partner Lukas Cottrell. »Dank ihm wissen wir, wie Menschen auf bestimmte Situationen und Stimuli reagieren, und können das Design anpassen, um die gewünschten emotionalen Reaktionen – die größtenteils unterbewusst ablaufen – hervorzurufen.«
Bild: Andreas Klingberg
Statt wie in der Marktforschung üblich Bedürfnisse und Emotionen konkret abzufragen, basieren die Erkenntnisse des Neuroscape-Modells auf impliziten Tests. »So kommt man den unterbewussten Bedürfnissen und Motivationen von Menschen auf die Spur«, sagt Strategy Director Sebastian Krowarz (mehr dazu hier). Am Anfang half das Neuroscape-Modell dabei, gemeinsam das gewünschte Zielbild der Marke zu entwickeln und zu prüfen, welche Elemente des Designs dieses bereits stützen und welche weiterentwickelt werden mussten. Im Laufe des Projekts setzte die Agentur das Modell immer wieder ein, um ihr Konzept und ihr Design abzugleichen und die Strategie zu überprüfen.
»Als Gestalter ist einem bewusst, wie selten es vorkommt, dass Großunternehmen ihren Auftritt verändern. Man weiß genau: Diese Chance, etwas am Design für die Deutsche Bahn zu machen, habe ich wahrscheinlich nur einmal in meinem Leben«
Felix Damerius, Creative Director bei der Peter Schmidt Group
Die Bausteine: Basis einer modernen Ikone
»Die Wurzeln der Corporate Identity der Deutschen Bahn, wie wir sie kennen, liegen in den 1990er Jahren«, sagt Felix Damerius. »Doch seitdem ist einiges passiert. Unsere Aufgabe bestand darin, sie moderner, menschlicher und digitaler zu machen. Wir wollten die Marke noch prägnanter machen, zu einer modernen Ikone, die Menschen begeistert.« Zudem sollte der Umgang mit dem Corporate Design vereinfacht werden – wenige, einfache Regeln statt eines komplizierten Manuals, damit Mitarbeiter der Deutschen Bahn sowie externe Agenturen besser, schneller und selbstbewusster mit der Marke arbeiten konnten. Es brauchte also ein lebendiges, modulares Designsystem, mit dem sich flexibel und dynamisch auf aktuelle Situationen und Kontexte reagieren lässt, das aber zugleich alle Assets auf künftige Herausforderungen der vollautomatisierten, KI-basierten Markenarbeit vorbereitet.
Den Kern dieses Designsystems bilden bekannte Elemente: Das Logo, die rot-weiße Farbwelt sowie die Schrift werden nicht nur klar mit der Deutschen Bahn assoziiert, sondern wurden in Befragungen auch dem gewünschten Zielbild zugeordnet. »Dementsprechend galt es, diese Codes zu stärken, damit in der Kommunikation bereits aufgebaute Assets ihre Wirkung bestmöglich ausspielen können«, erläutert Sebastian Krowarz.
Andere Codes hingegen passten nicht zur neuen Ausrichtung und wurden daher entfernt. So zeichneten etwa bislang eingesetzte Winkel als Gestaltungselement das Bild eines technischen, regelbewussten Staatskonzerns. Die Schrift nutzte unnötig viele unterschiedliche Schnitte und ließ die Kommunikation dadurch schnell komplex wirken. Auch das Logo stand meist kleinteilig auf einer weißen Trägerfläche. An die Stelle dieser Regeln traten wenige, einfache Leitsätze und große Freiheit in der Anwendung. Die Zahl der Schriftschnitte wurde reduziert, das Farbspektrum um energetische Sekundärfarben erweitert und das Logo in seiner Rolle als klare Absenderkennzeichnung gestärkt.
Neu: Der digitale Puls der Bahn
Sämtlichen Beteiligten war klar: Die Zahl der digitalen Touchpoints ist in den vergangenen Jahren rasant gewachsen – und wird in Zukunft weiter an Relevanz gewinnen. Denn statt um die Verbindung von Bahnhof zu Bahnhof geht es für die Deutsche Bahn immer stärker darum, vernetzte Mobilitätslösungen anzubieten: mit dem Zug als wichtigem Bestandteil, aber eben auch mit Carsharing, selbstfahrenden Bussen und Leihfahrrädern für die letzte Meile von Haustür zu Haustür. Damit werden die Interaktion auf mobilen Geräten, Icons und Übergänge sowie das visuelle Feedback auf dem Screen zu zentralen Elementen des Markenerlebnisses. Neben den bereits bekannten Brand Codes bedurfte es deshalb eines neuen, originär digitalen Gestaltungselements – in etwa vergleichbar mit den von Google etablierten »Dots«.
Die Gestalter fanden dieses Element mit dem »Puls« – einer abgerundeten Linie, die durch ihr Verhalten Informationen und zugleich Emotionen vermittelt: »Der Puls kann aufgeregt sein, wenn mein Zug im Bahnhof einfährt, oder mich bestätigen, wenn ich mich auf meinem Sitzplatz eingecheckt habe. Und er kann natürlich auch mitfühlen, wenn mal etwas nicht glatt läuft – immer je nach Ort und Kontext«, erklärt Felix Damerius. In der Kommunikation tritt er zudem als Ordnungselement in Erscheinung, beispielsweise wenn er gemeinsam mit dem Logo Textinhalte einklammert.
So schafft der Puls Orientierung, erleichtert die Nutzung und wird zum Symbol einer modernen, menschlichen Marke. Außerdem lässt er sich aus bestehenden Brand Codes ableiten und fügt sich daher wie selbstverständlich in den Markenauftritt ein: Der Puls ist die Kurzform der »roten Linie auf dem weißen Zug« und findet sich im Logo wieder. »Er ist so logisch, dass es über dieses Element keinerlei Diskussionen gab«, erinnert sich Damerius.
»Mit dem Thema Sound öffnet sich eine weitere sensorische Ebene für Marken. Markeninteraktionen werden dabei immer persönlicher und intimer«
Sebastian Krowarz, Strategy Director bei der Peter Schmidt Group
Die Umsetzung: Einfache Regeln und mehr Empathie
So weit, so gut. Wie aber wissen Markenanwender, wie sie die Brand Codes einsetzen? Agentur und Kunde wollten ihnen möglichst viel Freiheit geben und übersetzten die wenigen Leitsätze in einfache »Golden Rules«. »Das Corporate Design der Deutschen Bahn war schon vorher sehr ordentlich geregelt, aber auch unglaublich umfassend. Man hatte stets Angst, irgendetwas Wichtiges zu übersehen«, sagt Felix Damerius. »Deshalb formulierten wir die Golden Rules, an denen man sich orientieren kann. So weiß jeder schnell, ob etwas on oder off brand ist.«
Alle Designelemente samt ihren Anwendungsregeln sowie weiterführende Links für Spezialanwendungen im Bereich UX Design sind im Brandportal der Deutschen Bahn zu finden, auch im öffentlich zugänglichen Bereich. Das Portal beruht auf einer Eigenentwicklung der Peter Schmidt Group, der Brand-Management-Software BrandScape. Das System umfasst vom digitalen Styleguide über eine Media Library und das Digital-Asset-Management bis hin zu Training-Tools und Newsletter-Komponenten alles, was interne und externe Stakeholder benötigen, um mit der Marke zu arbeiten.
Die Öffentlichkeit erblickte das modernisierte Design erstmals als Soft Launch im Oktober 2019. Viele Umsetzungen werden erst in den kommenden Monaten und Jahren sichtbar werden – doch ist schon jetzt eine veränderte Markenwahrnehmung zu beobachten: »Im Rahmen einer repräsentativen Befragung stellten wir fest, dass wir mit dem neuen Auftritt die Zielattribute der Deutschen Bahn um ein Dreifaches gegenüber dem alten Corporate Design steigern konnten. Die Bahn wirkt nachweislich moderner, menschlicher und nahbarer«, sagt Strategy Director Sebastian Krowarz.
Der Weg zu mehr Empathie ist also gebahnt: »Mit dem Redesign der Deutschen Bahn haben wir die Basis für eine empathische Markenführung gelegt«, sagt Lukas Cottrell. »Wir haben eine Markenpersönlichkeit definiert, die die Haltung des Konzerns ausdrückt, und ein emotionales Vokabular geschaffen, mit dem dieser empathisch auf verschiedene Situationen reagieren kann.« In der Corona-Krise profitiert die Deutsche Bahn davon: Die starke Brand Personality erlaubte ihr, flexibel, schnell und markenkonform auf die Umstände zu reagieren und dabei Haltung zu zeigen. So bedankte sich das Unternehmen als eines der Ersten bei den Mitarbeitern für ihren Einsatz, erließ Bahnhofsgeschäften die Miete – und vor allem fuhr die Bahn weiter, während Flugzeuge am Boden blieben. Für viele war sie die einzige Möglichkeit, um (sicher) von A nach B zu kommen.
Brand Neuroscape: Volltreffer ins Herz der Zielgruppe
Mit diesem Modell entschlüsselt die Peter Schmidt Group unterbewusste Bedürfnisse, Motivationen und Assoziationen von Zielgruppen
Die Mehrzahl der Entscheidungen treffen Menschen nicht rational, sondern »aus dem Bauch heraus«. Das Brand-Neuroscape-Modell der Peter Schmidt Group hilft, unterbewusste Bedürfnisse, Motivationen und Assoziationen zu analysieren, die Positionierung von Marken zu verstehen und hierzu passende Codes für die Kommunikation auszuwählen. Dies erfolgt nicht durch klassische Marktforschung, sondern durch implizite Befragungstechniken: Neben der eigentlichen Antwort wird auch die Zeitspanne ausgewertet, die die Befragten für ihre Entscheidungsfindung benötigen. Unterbewusste Überzeugungen fallen dadurch stärker ins Gewicht als rational überlegte Antworten – eben genau so, wie dies auch im Kaufprozess der Fall ist.
Das Brand-Neuroscape-Modell betrachtet dabei sechs Dimensionen, die die Belohnungszentren in unserem Gehirn ansteuern: Abenteuer, Dominanz, Disziplin, Harmonie, Offenheit und Kreativität. Je nach Projekt und Kunde wird dieses Gerüst mit branchenspezifischen Adjektiven angereichert. Unterschiedliche Designrouten und Kommunikationsthemen lassen sich so darauf überprüfen, ob sie von der Zielgruppe entsprechend der Markenpositionierung decodiert werden. Dadurch gewinnen Markenverantwortliche und Gestalter Sicherheit.
Die Zukunft: Automatisierung und Voice Interfaces
Empathie und Vertrauen sind jetzt und in Zukunft allgemein noch wichtiger für die Markenarbeit. Zudem macht die durch Corona beschleunigte Digitalisierung es nötig, emotionale Nähe auch virtuell herzustellen. Mit dem Puls hat die Deutsche Bahn hierfür ein flexibel einsetzbares Element gefunden. Doch geht der Blick bereits weiter: Gemeinsam mit dem Projektteam der Deutschen Bahn arbeitet die Peter Schmidt Group an Möglichkeiten, Motive und Stilistiken automatisiert zu publizieren – immer zugeschnitten auf die individuelle Nutzungssituation. Und für den Einsatz in Chatbots prüft sie die Frage, wie abstrakt oder menschlich der Avatar des Unternehmens aussehen kann.
Zudem wird die markenkonforme Verwendung akustischer Elemente immer wichtiger – denn dass Sprachsteuerungen in vielen Bereichen visuelle Elemente ergänzen oder sogar komplett ersetzen werden, ist bereits heute absehbar: »Mit dem Thema Sound öffnet sich eine weitere sensorische Ebene für Marken. Markeninteraktionen werden dabei immer persönlicher und intimer«, sagt Sebastian Krowarz. »Wir müssen allerdings aufpassen, dass wir nicht in die Falle laufen, das Markenerlebnis durch maximales Maßschneidern zu atomisieren. Der Wert der Marke beruht nicht zuletzt auf sozialem Konsens. Und den gilt es mit für die Marke adäquatem Verhalten auch an rein akustischen Touchpoints zu erzeugen.« Neben dem Thema Sound Branding rückt daher die Frage in den Fokus, mit welcher Stimme und Tonalität die Deutsche Bahn in Zukunft auftreten kann. Denn Empathie drückt sich ganz wesentlich eben auch im persönlichen Dialog aus.
BrandScape: Digitale Heimat für die Marke
Mit der von der Peter Schmidt Group entwickelten Software lassen sich Brands flexibel und einfach managen
Für ein erfolgreiches Marken- und Designmanagement benötigen Mitar- beiter und externe Dienstleister Zugang zu allen Daten und Informationen und müssen schnell erfassen können, wie sie diese Corporate-Design-konform anwenden. Interaktive Brandportale bieten Anwendern hier die notwendige Unterstützung.
Die Peter Schmidt Group hat eine eigene Brand-Management-Software entwickelt, die aus der Perspektive von Markenmachern konzipiert ist: BrandScape ist eine All-in-One-Lösung, die sich flexibel an die jeweiligen Unternehmensprozesse, bestehende Systeme sowie an das Look-and-feel der Marke anpassen lässt. Sie umfasst neben einem digitalen Styleguide optionale Module wie Media Library, Web2Print, File Exchange und Workflows.
Die Bedarfsanalyse steht bei jedem Kunden am Anfang. Anhängig vom Umfang der Individualisierung wird dann ein Basispreis kundenindividuell auf Anfrage berechnet. Neben der Deutschen Bahn setzen auch andere Unternehmen wie Linde und die Post- bank auf das System. Mehr Informationen dazu gibt es unter www.brandportal.de.