Hochschulen im Wandel: Studieren für mehr Impact
Nachhaltigkeit, sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden und Haltung – im Designstudium geht es längst um mehr als um reines Gestaltungshandwerk. Wir zeigen, wie die neue Generation im Design lernt, die Welt zu bewegen
Doch der Wandel braucht Zeit – sind doch viele Hochschulen staatliche Einrichtungen, deren Curricula oft Jahre im Voraus festgelegt werden. Private Hochschulen haben den Vorteil eines flexiblen Aufbaus und kurzer Entscheidungswege. Ein Schlüssel für die konstante Entwicklung ist, so Jesta Brouns, die schnellere Rotation von Lehrenden, da diese stets neue Kompetenzen und Themen mitbringen. Als Direktorin der privaten Design Factory International legt die ehemalige Artdirektorin großen Wert darauf, dass die Dozent:innen Kursinhalte immer wieder hinterfragen und aktuell halten. Zudem lehren an der Design Factory nur Kreative, die parallel in der Praxis arbeiten. Auch dies soll garantieren, dass Methodik und Lehrinhalte mit den Entwicklungen in der Branche Schritt halten.
An staatlichen Hochschulen beginnt der Wandel oft bei einzelnen Lehrenden, die ihre Inhalte anpassen oder neue Kurse anregen. So hat etwa die Diplom-Designerin Carolin Schreiber, Professorin im Fachbereich Produktdesign an der FH Münster, dort vor zwei Jahren erstmals einen Social-Design-Kurs angeboten. Darin lernen Studierende, gesellschaftliche Probleme zu analysieren und dafür Lösungsvorschläge zu entwickeln. Die Ziele und Inhalte des Kurses muss Carolin Schreiber immer wieder erklären – intern und extern. Denn entgegen der bisherigen Lehre, die stark wirtschaftlich orientiert war, geht bei ihr weniger um das Erstellen eines Produkts für große Märkte als um die Arbeit mit gesellschaftlich benachteiligten, vulnerablen Zielgruppen.
Die gesellschaftliche Verantwortung des Designs ist auch zentral für das Selbstverständnis von Fons Hickmann, Mitgründer der vielfach ausgezeichneten Berliner Agentur m23 und Professor für Kommunikationsdesign an der UdK Berlin. Er beobachtet weniger den konkreten Wandel in den Lehrthemen, sondern eine Bewegung in der gesamten Designbranche:
»Die Lehrenden, die sich in ihrer eigenen Praxis für politische und soziale Themen einsetzen, tragen das schon immer mit in ihren Unterricht. Was sich geändert hat, ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Themen aufgenommen werden – an der Hochschule und in der Designpraxis.«
Kursaufbau mit neuen Zielen
Eine solche Ausrichtung stellt neue Anforderungen an künftige Gestalter:innen – und damit auch an die Konzeption der Kurse. Gilt es doch, ihnen Skills mitzugeben, die über das reine Gestaltungshandwerk hinausgehen und sie auf interdisziplinäre Projekte vorbereiten. »Wir beginnen immer mit einem an die Sozialforschung angelehnten Methodenset, lernen aber auch die nötigen handwerklichen Skills, um Prototypen zu realisieren«, erklärt Carolin Schreiber.
Konsequenterweise gibt es in den Social-Design-Kursen an der FH Münster auch kein Briefing für ein Produkt oder eine Kommunikationsmaßnahme, die die Studierenden entwerfen sollen. Stattdessen kooperiert Schreiber mit diversen sozialen Einrichtungen und holt Expert:innen dazu, die mit den Studierenden ins Feld gehen. Dort sollen die jungen Gestalter:innen lernen, in einem Co-Creation-Prozess mit Vertreter:innen ihrer Zielgruppe eigene Lösungsansätze zu entwickeln.
Auch an der Design Factory verschieben sich die Schwerpunkte in den Kursen:
»Soziale und politische Themen sind komplex und theoretisch, die Arbeiten müssen dafür umso angewandter und menschenzentrierter sein«
erklärt Jesta Brouns. »Das hat zur Folge, dass wir in der Lehre Recherche, Analyse und Konzept immer mehr priorisieren und größeren Wert auf die Idee und deren Begründung legen.« Die Designlehre entwickelt sich also ebenso wie die Branche weg von dem ungeliebten Klischee des »Schönmachens« hin zu methodischem Denken, Zielgruppenverständnis und Beratung.
Studierende und Lehrende auf Augenhöhe
Diese Veränderung ist allerdings nur dann möglich, wenn Studierende und Lehrende zusammenarbeiten und sich gegenseitig inspirieren. Die Designhochschulen sind dabei gegenüber den meisten anderen Disziplinen im Vorteil, denn in kleinen Semestergruppen und direkter Betreuung lässt sich leichter kommunizieren. So können die Nachwuchsdesigner:innen Projekte anregen, Themen einbringen oder mithilfe der Lehrenden selbst Vorträge und Weiterbildungsmöglichkeiten organisieren.
»Studierende tragen oft Themen an uns Dozent:innen heran. Dann sind wir in der Verantwortung, diese mit in die Diskussion mit anderen Lehrenden zu nehmen und daraus kursrelevante Inhalte zu entwickeln«, sagt Jesta Brouns. Die ecosign hat dafür eine offene »Suggestion-Box«, in der analog im Visitenkartenformat oder auch online Vorschläge, Wünsche und Kritik geäußert werden können.
Auch Carolin Schreiber legt großen Wert auf den Input ihrer Studierenden. Diese können jederzeit Projekte anregen. Wer eine Idee mitbringt, ist dann aber auch in der Pflicht, gemeinsam mit ihr Anträge zu verfassen und Gelder von der Hochschule zu beantragen. Dafür steht er oder sie bei der Veröffentlichung als Co-Organisator:in im Impressum und in den Pressemitteilungen.
Studierende empowern
Interessant an dieser Art der Selbstorganisation ist, dass die Studierenden als treibender Teil eines Projekts sichtbar werden und so schon im Studium positives Feedback und Anerkennung für ihre Arbeit erhalten. Diese Wertschätzung könnte in Zukunft immer wichtiger werden. Denn die intensive Beschäftigung mit der Klimakrise, Krieg und gesellschaftlichen Problemen kann auch Niedergeschlagenheit und Resignation auslösen. »Als Lehrende sind wir in der Verantwortung, den Studierenden Mut zu machen, das nötige gestalterische Rüstzeug in die Hand zu geben und ihnen zur Sichtbarkeit zu verhelfen«, so Fabian Hemmert.
Bernd Draser, der als Lehrbeauftragter für Nachhaltiges Design an der ecosign maßgeblich am Aufbau der Lehrinhalte beteiligt ist, fasst die Aufgabe der Designlehre in dem Wort »Empowerment« zusammen. Es gilt, die angehenden Gestalter:innen mit den nötigen Fähigkeiten und Tools auszustatten, um die Gesellschaft zu nachhaltigerem Handeln zu bewegen und durch Design zu empowern. Nur so können sie ihr Verantwortungsbewusstsein, ihren Tatendrang und ihre transformative Kraft in interdisziplinäre Teams und Projekte tragen – um über die Potenziale von Design aufzuklären, die unbequemen Fragen zu stellen und greifbare Lösungsansätze zu entwickeln.
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Studieren für mehr Impact: Was der Nachwuchs wirklich lernen will
We are strong: Kindern eine visuelle Stimme verleihen
Bild: Leonie Braun
2019 entstand eine spannende Partnerschaft zwischen dem Caritasverband für die Stadt Köln e. V., der Gemeinschaftsgrundschule im Süden und 21 ecosign-Studierenden. Die Viertklässler:innen der »Affenklasse« hatten zu Beginn des Jahres in einem Brief an die Bezirksvertretung auf die sozial prekäre Lage der Familien im Hochhauskomplex »Kölnberg« aufmerksam gemacht und forderten darin ihr in der UN-Kinderrechtskonvention verankertes Recht auf »Ruhe, Freizeit und Spiel« ein.
Dieser Brief inspirierte ein Semesterprojekt, in dem die Studierenden gemeinsam mit den Kindern eine Kampagne entwickelten, die der Forderung Nachdruck verleihen sollte. Um für Zusammenhalt unter den Beteiligten zu sorgen, entwarfen die Designerinnen und Designer zunächst ein Branding mit Logo, Typografie und Illustration für Shirts, Buttons und Banner. Emotionale Fotos von den Kindern und der Ausgangssituation sowie ein Film dokumentierten nicht nur die Zusammenarbeit, sondern kommunizierten auch die Dringlichkeit des Projekts nach außen. Zudem entwickelte das Team Pläne für einen Umbau des selten genutzten Tennisplatzes zu einem Skatepark und erarbeitete in Workshops weitere Ideen für eine Neugestaltung der Spielmöglichkeiten am Kölnberg.
DemenzDinge: Social Design im Tandem

Ihre Social-Design-Kurse im Fachbereich Produktdesign der FH Münster hält Professorin Carolin Schreiber klein, um so auch eine engmaschige Betreuung gewährleisten zu können. In dem einsemestrigen Projekt »DemenzDinge« standen den fünf Studierenden zudem zwei Soziologinnen zur Seite. Nach einer Einführung in die Grundlagen der Sozialforschung begleiteten diese die Gruppe in eine Einrichtung für Demenzerkrankte. Dort übernahmen dann ausgewählte Patient:innen, Angehörige und Pflegekräfte die Rolle von Co-Designer:innen.
Ziel des Kurses ist es zu lernen, durch narrative Interviews, teilnehmende Beobachtung sowie visuelle Stimulation mittels Skizzen herauszufinden, welches Produkt im Leben der Co-Designer:innen eine positive Veränderung bewirken kann. Diese Ideen entwickelten die Studierenden in iterativen Schleifen weiter zu konkreten Produktprototypen. So entstanden kleine Alltagshilfen und Produkte, wie eine Fernbedienung mit reduzierten Tasten und zugehörigem TV-Programm-Flyer, um die Bedienung zu erleichtern, oder ein Mosaikrahmen, der es einem an Demenz erkrankten Glaskunsthandwerker erlaubt, seine Kreativität trotz eingeschränkter kognitiver Fähigkeiten auszuleben.
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»Sh!neey«: Gesellschaftliche Normen hinterfragen

In der UdK-Grafikdesignklasse von Fons Hickmann geht es hoch her. Er fördert bei seinen Studierenden nicht nur eine politische und kritische Haltung, sondern ermutigt auch dazu, im freien Umfeld der Hochschule zu experimentieren und die Grenzen der Gestaltung auszureizen. So schufen Angelika Pientka, Leonor Gläser, Pauline Luca Wunderlich und Antonia Gericke 2022 im Kurs »Projekt Null« die erste Ausgabe des Magazins »Sh!neey« – einer kritischen Publikation über Inklusion, Gendergleichberechtigung und von den Medien propagierte Körperideale. Diese komplexen Themen visualisierten die Designerinnen in der schrillen Ästhetik der 2000er, also ihrer eigenen Jugendzeit. Das »politisch korrekte Gegenexemplar zur ›Bravo‹«, so die Macherinnen, soll in Text und Bild hinterfragen, wie ihre Generation mit unterschiedlichen Medien aufwuchs, was damals fehlte und was sich seither verändert hat.
Zukunft gestalten: Designpotenziale im Podcast

Was kann Design in Zukunft bewirken? Diese Frage beantworten Absolvent:innen der Bergischen Universität Wuppertal kurz und unterhaltsam im Interview mit Fabian Hemmert, Professor für UX und Interface Design. Er entwickelte den Podcast »Zukunft gestalten«, um seinen Studierenden zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen, und lädt regelmäßig Absolventinnen und Absolventen dazu ein, ihre Projektkonzepte zu erklären. Im lockeren Gespräch mit ihm schildern sie ihre Idee, geben Einblicke in die Entwicklung und beschreiben Schlüsselelemente der Gestaltung. Neben spannenden Apps, Produkten und Kommunikationskonzepten stellt der Podcast auch die Philosophie der Hochschule vor und verdeutlicht den Anspruch der Studierenden, mit jedem Projekt eine bessere Zukunft zu gestalten. Bei der Produktion des Podcasts wird Fabian Hemmert von Studierenden unterstützt, die das mobile Ton-Equipment für die Aufnahmen bedienen. Zu hören gibt es die 20-minütigen Folgen auf allen gängigen Portalen.

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Dieser Artikel ist erschienen in PAGE 02.2023. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.




