Plädoyer für ein ungemein erfrischendes und inspirierendes Standardwerk zur Zukunft des Designs.
Diesem wunderbar gestalteten Buch über neue »Strategien, Werkzeuge, Geschäftsmodelle« für das Design des 21. Jahrhunderts haben die Macher eine Gebrauchsanleitung vorangestellt – auf dass der Leser in der Flut der ungemein verlockenden thematischen Verweise nicht verloren gehe.
100 verblüffende, für Gestalter hochinteressante Szenarien, die die aktuelle gesellschaftliche Lage und darauf antwortende Design- und Business-Trends beleuchten, hat der Autor zusammengetragen.
Florian Pfeffer pendelt seit Ende seines Kommunikationsdesignstudiums in den Endachtzigerjahren zwischen Lehrtätigkeit und seinem eigenen Designstudio one/one communication. Sein Rundumblick auf die Disziplin ist entsprechend umfassend ausgefallen. Und die Designlandschaft ist vielgestaltig geworden – heterogen und unübersichtlich. Ein Umstand, dem das Buch mit einer besonderen Informationsarchitektur aus weißen und zartgrünen Buchseiten begegnet: Phänomene, Projekte und Positionen schwarz auf weiß, dazu passende Strategien, Werkzeuge und Geschäftsmodelle schwarz auf zartgrün, gedruckt auf um etwa einen Zentimeter verkürzte Seiten, damit die Lektüre sich – ganz im Wortsinne – handlich gestaltet.
Ob diese Fallgeschichten zu tragfähigen Businessmodellen taugen? Lesen Sie selbst nach! Vielleicht finden Sie ja das Designbeispiel, das zu Ihnen passt, und es wird ein Bomben-Copycat-Business draus! Doch Obacht: Viel wahrscheinlicher ist es, dass Ihnen beim Blättern eigene, auf Ihr spezifisches Problemfeld abgestimmte Konzepte und Geschäftsmodelle einfallen – denn Pfeffer zieht immer wieder Beispiele aus dem Ärmel, in denen Kreative Killer-Ideen dort umsetzten, wo man selbst nicht weiterzudenken wagte, obwohl die Lösung eigentlich auf der Hand lag.
»To Do« ist im Grunde pure Designkritik – für Designenthusiasten, die etwas bewegen wollen und dafür Realitätsreibung nicht scheuen. Schluss mit einer Gestaltungspraxis, die ihre Bezüge und Abhängigkeiten nicht hinterfragt und aufdeckt! Längst haben sich – abseits der Akademien, Fachhochschulen, Hochschulen und Designschulen – unzählige Anschlussdisziplinen herausgebildet, in die man als angehender Designer möglichst schnell hineinwachsen muss. Oder man erfindet – vielleicht ja angeregt vom vorliegenden Buch – einfach eine neue Nachbarschaftsdisziplin …
Florian Pfeffers Blick auf Gestaltung ist ebenso akademisch wie an der Praxis erprobt und radikal realitätsnah. Das macht den Reiz des Buchs aus. Schnell wird bei der Lektüre deutlich, dass das Design in seiner aktuellen Ausdifferenzierung hinein in die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereiche eine vielleicht nie dagewesene Selbsterkenntnis feiert: Polit-Designer, Konstrukteur-Designer, Unternehmer- oder Business-Designer, Statistik-Designer, Gründer-Designer verändern unsere Auffassung von der Welt, unsere Auffassung von uns in der Welt sowie uns und die Welt gleich mit.
Zudem ist Designer kein geschützter Beruf mehr – warum also nicht die enorm vielschichtige Anschlussfähigkeit der Disziplin in die Pflicht nehmen und mit einem gehörigen Schuss Realitätssinn zu ihrem Recht kommen lassen?
Und ist es nicht gut, wenn sich das Design auf seine möglichen Verwandtschaftslinien zu den Ingenieurswissenschaften besinnt und erkennt, dass Erfinden, Konstruieren, Planen, Optimieren untrennbar mit Gestaltung verwoben sind? Nicht nur das: Florian Pfeffer bezieht auch die Gesellschaftswissenschaften, die Statistik, die Volkswirtschaftslehre, BWL, Kunst, Biologie, Medizin und natürlich die Informatik mit ein, wobei die Liste der möglichen Nachbarschaften sich im Grunde beliebig erweitern ließe. Nicht zuletzt ums Revoluzzertum. Denn auch dafür stehen das Internet und mobile Devices. Die digitale Revolution hat viele Gesichter und Masken …
Bei derart kritischem Engagement bleibt die Frage nicht aus, wozu wir professionelles Design überhaupt brauchen, wenn die User heute alles selbst gestalten können? Die Antwort: Sie können es eben nur, weil Designer ihnen die Werkzeuge für diese enorme Selbstermächtigungsgeste in die Hand gelegt haben. Sie entwickeln zwar nur selten die Technik, die im Produkt oder Werkzeug von heute steckt, aber sie geben ihr ein menschliches Antlitz oder machen – noch besser – den Unterschied zwischen Mensch und Maschine als lediglich überbrückbaren sichtbar. Ein Bewusstsein dafür entsteht durch Designethik, kritisches Design und kritische Designtheorie, für die das Buch nicht nur unterschwellig plädiert.
Seit seinem frühen Lehrauftrag im Nahen Osten, so schreibt Pfeffer in seiner Schlussbemerkung, werde er das Gefühl nicht mehr los, »dass Design ein vergleichsweise flaches Paralleluniversum konstruiert, das neben dem ›echten Leben‹ existiert – was auch immer das ist. Ich meine damit nicht eine billige Polemik gegen die substanzlose Welt der Werbung oder des Konsums und dass wir ab jetzt alle etwas Sinnvolleres machen sollten. Ich meine damit, dass Design nur begrenzt in der Lage ist, authentische Erfahrungen zu produzieren und sich stattdessen in Naivität und Harmlosigkeit erschöpft.«
Pfeffer gibt – mit allem Enthusiasmus für »seine« Disziplin – dem eigenen Unbehagen in der geläufigen Designkultur statt, mit allem Gewicht und aller Ernsthaftigkeit. Ein ungemein inspirierendes, aufstörendes Nachschlagewerk ist ihm so gelungen. Aufstörend, weil es die ubiquitäre Digitalisierung überall mitdenkt – selbst dort, wo sie nicht ist, weil durch gesellschaftliche Ungerechtigkeiten vorenthalten; inspirierend, weil es verdeutlich, dass Design die es bedingenden Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge stets sichtbar machen sollte, damit sie ins öffentliche Bewusstsein einsickern. Damit sie Diskurse, Diskussionen, Debatten anregen. Denn unsere Mündigkeit steht auf dem Spiel. Und doch darf, wer Letzteres befürchtet, sich von Pfeffers Buch auch beruhigen lassen – die von ihm vorgestellten neuen »Wege« des Designs sprechen dafür.
Seit die elektronische Revolution in ihrer Blüte steht, scheint es fast, als würden der Zukunft zugewandte Designer ein zweites Zeitalter der Aufklärung erfinden – nicht nur, damit Florian Pfeffer davon erzählen kann, sondern damit das gute, alte Raumschiff Erde des kongenialen Designer-Konstrukteur-Visionärs Richard Buckminster Fuller, den Pfeffer gerne als historischen Zeugen heranzieht, nicht schon bald unbemannt seine Kreise zieht … Höchstgeschwindigkeit 30,3 Sekundenkilometer. Wer wollte nicht mit daran arbeiten?