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Auf den zweiten Blick

Mehr als dreißig Jahre nach Erscheinen der Frutiger bringt Linotype jetzt die Neue Frutiger heraus…

In enger Zusam­menarbeit mit Akira Kobayashi entstand die Überarbeitung der Frutiger von 1977. Nach Vollendung des Projekts schrieb Adrian Frutiger einen sehr persönlichen Brief an ihn (oben)

Mehr als dreißig Jahre nach Erscheinen der Frutiger bringt Linotype jetzt die Neue Frutiger heraus.

Versetzen wir uns zurück ins Jahr 1977, denken wohl die meisten zunächst an den RAF-Terror. Nicht nur die Anschläge auf Siegfried Buback und Jürgen Ponto fanden in diesem Jahr statt, auch die Ermordung Hans-Martin Schleyers, die Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut sowie am Ende der Selbstmord der ersten RAF-Führungsgeneration im Gefängnis Stutt­gart-Stammheim. 1977 war aber auch das Jahr, in dem in der Linotype-Bibliothek die Frutiger erschien. Und auch wenn dies zugegebenermaßen nur einen kleinen Teil der Bevölkerung interessierte, war es doch ein typografischer Meilenstein.

Ob groß oder klein, dick oder dünn – die Neue Frutiger ist ausgezeichnet lesbar. Auch einzelne Zeichen wurden überarbeitet. Die geringere Fette von ©, ™ und @ verbessert die Darstellung in kleinen Schriftgraden, und das Eurosymbol kollidiert nicht mehr mit anderen Figuren. Auch gibt es jetzt Alternativen für das @-Zeichen und das ß

Der Entstehungszeitpunkt der Frutiger allerdings reicht noch einige Jahre weiter zurück: Ende der sechziger Jahre fiel der Startschuss für die Pla­nun­gen des Pariser Großflughafens Charles de Gaulle (Rois­­sy). Der junge Architekt Paul Andreu stellte eine unkonventionelle Expertenkommission aus Farbpsychologen, De­signern, Phi­losophen und Mu­sikern zusammen, um mit ihnen wegweisende Neuerun­gen zu entwickeln. Der Entwurf des Flughafenleitsystems wurde Adrian Fru­tiger und seinem Atelier übertragen. „Alle nahmen an, ich würde zur Univers greifen. Doch mir wurde schon bald klar, dass sie zu rund und geschlossen für die schnelle Wahrnehmung von Wegweisern war“, erinnert sich der heu­te 81-jährige Typograf und Schriftgestalter.

Stattdessen nahm Frutiger seine be­reits 1959 gestaltete Concorde als Basis und schuf daraus die klare und gut lesbare Schrift Roissy. Nicht nur Paul Andreu, die gesamte Fachwelt war be­geistert. Aufgrund der großen Nachfrage entwickelte Frutiger eine um ­zusätzliche Schnitte erweiterte Druck­version der Roissy: die Frutiger, die schnell zum Bestseller und zum Inbegriff von Lesbarkeit wurde. Sicherlich auch, weil ihre Konstruktion weder streng geometrisch noch humanis­tisch ist. Der Maßstab, den Adrian Frutiger bei der Gestaltung eines jeden Buchstabens anlegte, waren seine rasche Er­kennbarkeit sowie die Unterscheid­bar­keit von verwandten Lettern.

Die bereits vorhandenen Frutiger-Schnitte Light, Regular, Bold und Black wurden über­arbeitet. Neu hinzu kamen Ultra Light, Thin, Book, Medium, Heavy und Extra Black. Sämtliche zehn Schnitte der Neuen Frutiger haben passende Kursiven

Die Frutiger Next von 1999 ist nicht die Verbesserung, sondern eine Weiterentwicklung der Frutiger. Ihr liegt ein anderes Konzept zugrunde, deren sichtbarstes Merkmal die größere Mittellänge und die ausgeprägten Ober- und Unterlängen der Kleinbuchstaben im Verhältnis zu den Versalien sind. Al­le Zeichen wurden neu gestaltet und erzeugen ein ausgeglichenes Schriftbild bei gleichzeitig schmalerer Laufweite. Die Frutiger Next trägt den Anforderungen nach modernen platz­spa­renden Schriften Rechnung. Darüber hinaus weisen die kursiven Schnitte der Frutiger Next eigene Formen der Buchstaben a, e, f, g, q auf, das ß ist als Ligatur aus langem und scharfem s erkennbar, und das & aus der Buchstabenkombination E und t abgeleitet.

Zu Frutigers achtzigstem Geburtstag, im Jahr 2008, erschien dann eine Serif-Variante. Akira Kobayashi, künstlerischer Leiter bei Linotype, baute gemeinsam mit Adrian Frutiger dessen Antiqua-Schriftentwurf Meridien aus den fünfziger Jahren zur Schriftfamilie Frutiger Serif mit zwanzig Schnitten aus. Besonderen Wert legten die beiden dabei auf das harmonische Zusammenspiel mit der Frutiger Next.

Die Neue Frutiger (grau) ist an den Schnittpunkten der Schriftbalken stärker eingeschnitten als die Frutiger (Kontur). Dies verhindert die ungewollte Fettung an diesen Stellen und verbessert die Lesbarkeit vor allem in kleineren Punktgrößen

Und nun also die Neue Frutiger. Die Idee, die Urschrift zu überarbeiten, kam von Akira Kobayashi. Adrian Frutiger war sofort begeistert und steuerte viele Gedanken und Vorschläge bei. So entstand in enger Zusammenarbeit eine neue, verbesserte Version der Fru­tiger von 1977. Vor allem erweiterten die beiden die Schriftfamilie, sodass sie jetzt mit zehn fein abgestuften Schnitten von Ultra Light bis Extra Black die richtige Fette für jeden Bedarf bietet. Optimiert wurde auch die Zurichtung. Die Neue Frutiger bricht mit den Restriktionen aus dem Matrizensatz – beispielsweise der Dicktengleichheit unterschiedlicher Schnitte –, die sich bis in die digitalen Versionen der Frutiger hinein vererbt haben. Jetzt hat jeder Schnitt seine eigene Dickte und das Schriftbild einen gleich­mäßigen, ausgeglichenen Zeilenfall.

Aufgrund gleicher Buchstabenhöhen lassen sich die Frutiger und Neue Frutiger problemlos mischen. Und auch die Frutiger Serif passt in ihrer optischen Höhe ins Schriftbild

Gerades und kursives a, f, g, q aus der Neuen Frutiger. Anders als bei der Frutiger Next (rot) haben die Italics der Neuen Frutiger keine eigenen Buchstabenformen

Die Veränderungen an den Buchstaben erkennt man erst auf den zweiten Blick. Denn es sind vor allem Details, die die Neue Frutiger besser lesbar ma­chen. So schnitten Adrian Frutiger und Akira Kobayashi die Zeichen an den Schnittpunkten der Schriftbalken stärker ein. Diese Maßnahme verhindert ei­ne ungewollte Fettung an diesen Stellen und erhöht die optische Qualität und damit die Lesbarkeit vor al­lem in kleinen Punktgrößen. Die im OpenType-Format angelegte Schriftfamilie unterstützt 48 auf dem lateinischen Alphabet aufbauende Sprachen, darunter auch Exoten wie Baskisch, Bretonisch, Kornisch, Friaulisch, Friesisch oder Saamisch.

Über die Buchstaben hinaus nahmen sich Akira Kobayashi und Adrian Frutiger auch verschiedene Zeichen vor: Sie verringerten die Fette von ©, ™ und @, um die Darstellung in kleinen Schriftgraden zu verbessern, und änderten die Form des Eurosymbols so, dass es nicht mehr mit anderen Figuren kollidiert. Zudem gibt es jetzt Alternativen für das @-Zeichen sowie das ß. Trotz der zahlreichen Veränderungen passt die Neue Frutiger gut zur Fruti­ger. Da beide Schriften die gleiche Buchstabenhöhe haben, kann man oh­ne Weiteres die vorhandenen Schnitte der Frutiger mit denen der Neuen Frutiger kombinieren. Und auch mit der Frutiger Serif lässt sie sich ohne Pro­bleme zusammen einsetzen.

Zu jedem Schnitt der Neuen Frutiger gibt es die passenden Pfeile, für die Adrian Frutiger selbst die Vorlagen zeichnete


Hinsichtlich der Zurichtung bricht die Neue Frutiger mit den alten Restriktionen aus dem Matrizensatz, die sich in die digitalen Versionen der Frutiger vererbt haben. Waren bei dieser zum Beispiel die Roman und Bold dicktengleich, so hat bei der Neuen Frutiger jeder Schnitt seine eigene Dickte

Was als Überarbeitung eines Klassikers begann, wurde mit der Zeit zu ei­nem intensiven Projekt, in des­sen Verlauf sich zwischen Adrian Frutiger und dem 34 Jahre jüngeren Akira Koba­ya­shi eine Freundschaft ent­wi­ckel­te. Der Brief, den Adrian Frutiger nach Vollen­dung der Neuen Frutiger an ihn schrieb, ist wirklich anrührend. Ver­mutlich bedeuten diese Worte des Großmeisters der Typografie für Akira Kobayashi mehr als alle Wettbewerbsauszeichnungen der Welt.

Erhältlich ist die Neue Frutiger über linotype. Ein Einzelschnitt kostet rund 80 Euro, für die ganze Familie gilt bis Ende des Jahres ein Ein-führungspreis von zirka 710 Euro. Danach kostet sie etwa das Doppelte.

(Diesen Artikel finden Sie in PAGE Heft 09.2009)
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