Neurodiversität macht die Gesellschaft bunter und eröffnet spannende Perspektiven fürs Design. Wir zeigen, wie Kreative für das Thema sensibilisieren und etwas bewegen können.
Wenn wir über inklusives Design sprechen, meinen wir zumeist die Gestaltung für Menschen mit beeinträchtigtem Seh-, Hör- oder Bewegungsvermögen. Dabei vernachlässigen wir allerdings die neurologischen Unterschiede, die sich auf die Wahrnehmung und Informationsverarbeitung von Menschen auswirken – und besondere Anforderungen an die Gestaltung stellen. Man spricht hier von Neurodiversität, also der kognitiven Vielfalt unserer Gehirne. Und obwohl keines exakt gleich »verkabelt« ist, lassen sich doch einige Typen mit spezifischen Bedürfnissen erkennen.
Zwischen 15 und 20 Prozent der Menschen haben eine diagnostizierbare Neurodivergenz. Zu den bekanntesten Ausprägungen gehören Legasthenie, Autismus oder ADHS, aber auch Synästhesie und Hochbegabung. Was das für das Erleben der Betroffenen bedeutet, beschreibt der neuseeländische UX Designer Will Soward so: »Wir alle sind mal müde, ängstlich oder gestresst. In diesem Zustand sind wir leicht überreizt oder können uns nicht konzentrieren. Für viele neurodivergente Menschen ist das aber der Dauerzustand. Design kann dieses Problem nicht allein lösen, aber dafür sorgen, dass die Welt versteht, wie vielfältig wir eigentlich sind.«
Der Begriff der Neurodivergenz entstand bereits in den 1990er Jahren, doch bislang gibt es nur verhältnismäßig wenig Forschung und Aufklärung dazu. Viele assoziieren etwa ADHS rein mit einem Aufmerksamkeitsdefizit, neuere Studien zeigen aber, dass manchmal sogar das Gegenteil der Fall sein kann – einige Menschen mit ADHS haben sogenannte Hyperfokusphasen, in denen sie sich mehrere Stunden lang in eine Aufgabe vertiefen, ohne dabei zu ermüden. Legasthenie geht oft mit einer besonderen Fähigkeit, Muster zu erkennen oder Gesprochenes in visuelle Bilder zu übersetzen, einher. Gerade in der Kreativbranche gibt es einige bekannte neurodivergente Persönlichkeiten, wie etwa Tim Burton und Andy Warhol. Doch auch jenseits solcher Ausnahmeerscheinungen sind nicht neurotypische Menschen eine Bereicherung für jedes Kreativteam, da sie mit ihrer besonderen Wahrnehmung vielfältigere Perspektiven und ganzheitlichere Lösungen für Designaufgaben ermöglichen.
Design zwischen Anregung und Ruhe
»Wichtig ist anzuerkennen, dass keine Designlösung für alle Menschen funktionieren kann«, erklärt Will Soward. »Aber wir können gestalterische Entscheidungen treffen, die Grundbedürfnisse verschiedener Neurotypen erfüllen oder Experiences individualisierbar machen, um dem so nahe wie möglich zu kommen.« Einige dieser Maßnahmen kennen wir bereits aus der Gestaltung für Menschen mit eingeschränkter Sicht – wie zum Beispiel den Einsatz geeigneter Schriften und Farbkontraste sowie Individualisierungsoptionen im UX Design. Spezifische Gestaltungshilfen, die auch neurologische Aspekte einbeziehen, stammen jedoch bisher meist aus der neurodivergenten Community selbst.