Melanie Mues gestaltet tolle Künstler- und Fotobücher. Wir sprachen mit ihr über ihren Werdegang, ihren Gestaltungsprozess, Trends im Buchdesign und Tipps für angehende Buchgestalter:innen.
Faszinierendes Cover, schöner Umschlag, angenehmes Papier und Aufschlagverhalten: Nicht nur der Inhalt macht ein gutes Buch aus. Das wissen Gestalter natürlich. Für unseren Artikel über Buchdesign in PAGE 5.21 haben wir mit unterschiedlichen Buchdesignern gesprochen.
Mit dabei war Melanie Mues, die in London das Studio Mues Design betreibt.
Wie bist du zum Buchdesign gekommen?
Melanie Mues: Für meine Diplomarbeit an der Hochschule der Künste Bremen habe ich ein Buch und eine Installation umgesetzt. Nach dem Abschluss bin ich nach London gegangen und habe für verschiedene Agenturen gearbeitet, bevor ich 2001 mein eigenes Studio gegründet habe. Ich hatte viele Kontakte in der Kunstszene, und so hat es sich ergeben, dass ich anfing, Fotobücher zu machen. Damals herrschte noch die Einstellung, dass Design in einem Fotobuch nichts zu suchen hat – es sollte allein um die Bilder gehen. In Stephen Gill habe ich einen tollen partner in crime gefunden, mit dem ich da konzeptioneller rangegangen bin. Wir haben damals hauptsächlich über Selfpublishing veröffentlicht, große Verlage waren an Newcomer-Fotografen nicht interessiert. Mit unseren Büchern haben wir viele Preise gewonnen, was mich bestärkt hat, auch bei kommerzielleren Büchern mutiger zu gestalten.
Was ist dein Schwerpunkt?
Ich mache Kunst- und Fotobücher, bei denen alles konzeptionell zusammengedacht wird. Nur Cover mache ich bloß in Ausnahmefällen, zum Beispiel für »The Art Book« von Phaidon Press.
Was gefällt dir besonders am Buchdesign?
Ich sehe Bücher als eine Art Architektur, in der man von Raum zu Raum, von Seite zu Seite geht. Als Gestalter nimmt man dabei den Leser an die Hand. Mir gefallen die Buchprojekte am besten, bei denen Design essenziell ist, um den Inhalt zu vermitteln.
Wie gehst du an die Gestaltung heran?
Ganz unterschiedlich – je nachdem, wie die Konstellation ist. Bei Künstlerbüchern ist mir wichtig, so viel Material wie möglich zu sammeln. Wenn mir Künstler*innen Einblick in ihre Geschichte und ihre Herangehensweise geben, sprudeln bei mir sofort die Ideen. Ich arbeite gern so kollaborativ wie möglich und sehe meine Kunden als Sparringspartner. Bei Verlagen habe ich am meisten mit den Lektor*innen zu tun, bei Ausstellungskatalogen mit den Kurator*innen. Ich entwickle dann ein Konzept, mache Entwürfe für das Cover und einige Beispielseiten. Ins Detail gehe ich erst, wenn ich den finalen Inhalt vorliegen habe. Mein Interesse ist immer, die richtige Lösung für den jeweiligen Kunden zu finden. Ich bin schließlich keine Künstlerin, sondern Buchgestalterin. Ich denke, dadurch habe ich auch nicht wirklich einen wiedererkennbaren Stil.
Welche deiner Bücher magst du besonders und warum?
Das ist nicht so leicht zu beantworten! Eine Auswahl:
»Korean Art from 1953, Collision, Innovation, Interaction« (Phaidon Press, 2020): Dieses Buch ist sehr akademisch. Trotzdem wollte ich für dieses superspannende Thema mit dem wortgewaltigen Titel eine starke visuelle Idee entwickeln. Ich habe also pseudokoreanische Buchstaben entworfen und dem Buch eine extrem politische, selbstbewusste und unverwechselbare Gestaltungssprache gegeben.
Bild: Mues Design
»Amore e Piombo« (Archive of Modern Conflict, 2014): Ein sehr spannender Ausstellungskatalog, der Paparazzi-Fotos von der italienischen Schickeria der 1970er Jahre mit Bildern von Terroranschlägen aus derselben Zeit kombiniert. Das Cover ist angelehnt an die in Sandstein geritzten Straßennamen in Rom – und es hat Lasercut-Schusslöcher. Für diese haben wir im Garten des Kunden mit einer Luftpistole auf Papier geschossen. Die Publikation ist nicht klassisch gebunden, aber ich würde sie dennoch als Buch bezeichnen. Die Fadenknotenbindung hat uns ermöglicht, andersfarbige Papiere – mit Zitaten bedruckt – wie ein rotes Band durch die Publikation zu fädeln.
Bild: Mues Design
Bild: Mues Design
»Bright bright day. Polaroids by Andrei Tarkovsky« (White Space Gallery): Die Polaroids, um die es in dem Buch geht, habe ich auf ungestrichenem Papier gedruckt und hochgezogen. Diese Formatveränderung hat bei Polaroid-Fans für Verärgerung gesorgt, aber für mich ist die Größe nur eine Restriktion, die der Film vorgibt, und kein wesentliches Merkmal der Fotografien. Auf dem Cover ist eine Zeichnung des russischen Filmemachers zu sehen, die seinen Schäferhund zeigt, in Gold geprägt.
Bild: Mues Design
»Buried by Stephen Gill« (Nobody Publishing): Das Buch zeigt eine Serie von Stephen Gill, für die er Fotos vergraben hat, bis sie sich auflösen Dieses Konzept haben wir auf die Bücher übertragen und sie ebenfalls kurz eingebuddelt und mit Erde beschmiert. Ein klassisches Beispiel aus unserer Selfpublishing-Zeit: Es gab 750 Exemplare und es war klar, dass alle verkauft werden.
»The Corinthians. A Kodachrome Slide Show« (Archive of Modern Conflict): Bei diesem Buch war es mir wichtig, das mechanische und leicht klaustrophobische Gefühl einer Diashow zu vermitteln – inklusive leerer Slides oder verkehrt herum eingesetzter Bilder. Das Cover ist vorne und hinten ausgeschnitten und sieht aus wie ein Diarahmen. Die gezeigten Fotos stammen alle von Amateurfotografen und zeigen das US-amerikanische Leben nach dem Zweiten Weltkrieg.
Bild: Mues Design
> Mehr Bilder in der Galerie unter dem Interview
Gibt es andere Buchgestalter, deren Arbeiten du bewunderst?
Irma Boom. Ich kaufe mir sehr selten Bücher, aber das von ihr gestaltete »Elements of Architecture« von Rem Koolhaas wollte ich unbedingt haben.
Welche Trends beobachtest du gerade im Buchdesign?
Es gibt eine Polarisierung: großartig gestaltete und aufwendig produzierte Bücher und Special Editions auf der einen Seite und billig hergestellte Taschenbücher auf der anderen.
Was sind deine Tipps für angehende Buchgestalter?
Ich habe gar nicht das Gefühl, dass die jungen Designer von heute welche brauchen. Die meisten, mit denen ich zu tun habe, sind sehr breit aufgestellt und selbstbewusst. Sie werden ihre Nische finden.