Mark Curtis von Accenture Interactive und Chris Böhnke von Fjord erläutern in ihrem Gastbeitrag, welche Auswirkungen der Corona-Krise die Kreativbranche besonders betreffen – und Handeln erfordern.
Der Lockdown und die Kontaktbeschränkungen im Zuge der Coronavirus-Pandemie hinterlassen Spuren im Verhalten der Menschen. Höchste Zeit für die Kreativbranche, sich mit vier der wichtigsten Auswirkungen auseinanderzusetzen:
1. Ohne Vertrauensbonus geht nichts mehr.
Die Menschen werden risikoscheuer. Sie stellen ihre eigenen Bedürfnisse wieder stärker in den Mittelpunkt und kümmern sich um sich selbst. Ein Vertrauensverhältnis zu ihnen aufzubauen ist jetzt wichtiger und schwieriger als jemals zuvor. Organisationen müssen mehr denn je Vertrauenskosten berücksichtigen. Dazu gehören Investitionen in die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl der Kunden, Nutzer, Patienten und Bürger – in Hygiene, Pünktlichkeit und ethisches Handeln.
Die Kreativbranche stellt das vor eine Reihe von Aufgaben: das Vertrauensbedürfnis der Menschen in ein Produkt oder eine Dienstleistung neu auszuloten, die relevanten, fehlenden und neuen »Trust Points« zu identifizieren und sie dann auch kommunizierbar und erfahrbar zu gestalten.
2. Virtualität erlebt einen Schub.
Fast alles, was virtuell ablaufen kann, wird auch virtuell eingefordert und angeboten werden. Neue Nutzergruppen treten auf den Plan, die gerade erst die ganze Bandbreite an Möglichkeiten des Digitalen für sich entdecken, zumindest in bestimmten Situationen, wie zum Beispiel Senioren oder Sportler. Gleichzeitig wird nicht jeder Mensch im gleichen Maße digitale Technologien nutzen wollen oder schlicht nicht können.
Home-Office und virtueller Schulunterricht haben funktioniert, oft mehr schlecht, und ein starkes Verlangen nach »echter« Welt offenbart. Online-Fitness-Kurse erleben einen Boom – sind Virtual- und Augmented-Reality-Angebote der nächste lohnens- und auch erstrebenswerte Schritt? Auf die extreme Beschleunigung des Virtuellen und den wachsenden Zwiespalten, die sich daraus ergeben, muss die Branche Antworten finden.
3. Gesundheit ist das neue Gold.
Menschen kümmern sich mehr denn je um die eigene Gesundheit und die ihrer engsten Bezugspersonen. Dabei suchen sie Unterstützung. Von der neuen Gesundheitsökonomie können viele Branchen profitieren, indem sie die gesundheitsbezogenen Mehrwerte liefern. Beim Autokauf wird die Klimaanlage mit Keimfilter oder der Innenraum aus antibakteriellen Materialien möglicherweise zum ausschlaggebenden Faktor. Bei der Reisebuchung, ob Airline und Hotel über die Hygienemaßnahmen aufklären, die sie durchführen.
Eine Herausforderung für die Kreativbranche wird darin liegen, echte Mehrwerte zu finden und hervorzuheben – ohne das, was seit der Pandemie selbstverständlich sein sollte, überzukandideln.
4. Mein Haus ist mein Kokon.
Der Lockdown hat das Zuhause zum Zentrum des Lebens gemacht. Der Trend zum Einigeln und zur Konzentration auf das, was einem räumlich nah ist, wird nachwirken. Zum Beispiel werden sich Menschen mehr als früher an lokalen Angeboten orientieren und Dinge und Services für den häuslichen Komfort nachfragen. Auch der Trend zu mehr Sport- und Freizeitangeboten in den eigenen vier Wänden wird sich verstärken (s.o.). Für die Kreativbranche bedeutet das unter anderem, in Forschung zu investieren, die sich mit dem Zuhause und dem Haushalt der Zukunft befasst.
An der wichtigsten Aufgabe der Branche hat auch die Pandemie nichts geändert, sie hat nur an Bedeutung gewonnen: Pulsmesser und Impulsgeber für Unternehmen und Organisationen zu sein für das, was Menschen wirklich bewegt.
Die Autoren: Mark Curtis, Head of Innovation and Thought Leadership bei Accenture Interactive und Mitgründer von Fjord und Chris Böhnke, Managing & Group Director Germany von Fjord