Für Berlin bereiste Erwin Olaf sieben Orte der Hauptstadt, und schon dieser Fakt stellt die Fotoserie neben seinen Studiofotografien heraus.
Für Berlin bereiste Erwin Olaf sieben Orte der Hauptstadt, und schon dieser Fakt stellt die Fotoserie neben seinen Studiofotografien heraus. Alle gewählten Orte – das Olympiastadion, das Schöneberger Rathaus – für immer verbunden mit Kennedys viel zitierten Worten »Ich bin ein Berliner«, Clärchens Ballhaus, das Alte Stadthaus an der Klosterstraße, das Stadtbad Neukölln, die Fechthalle am Westend und Innenräume der Freimauerloge – besitzen für ihn subjektiv ästhetischen und historischen Erzählwert.
Die Fotografien führen mit ihren perfekt komponierten atmosphärischen Stimmungen in eine Stadt verschiedener Zeiten. Wir finden uns wieder im Berlin des Franz Bieberkopf der 20er Jahre – einer verruchten, gewalttätigen und stetig anwachsenden Großstadt oder auch dem Berlin als Hort des aufkeimenden Nationalsozialismus. Von diesem historisch inspirierten Standpunkt blickt Olaf auf das Berlin von heute – eine weltweit als unkonventionell, kreativ, jung und offenherzig geltende Metropole.
Olaf operiert, wie in all seinen fotografischen Serien, zielgerichtet und präzise mit Licht und modelliert die Farbwelten meisterhaft. Mit dieser malerischen Arbeitweise zitiert er für die Berlinserie augenscheinlich aus den Bildwelten der Neuen Sachlichkeit. Die Düsterkeit und kühle Präzision der Fotografien Erwin Olafs irritiert. Kinder an der Schwelle zum Erwachsensein, begegnen dem Betrachter mit herrisch selbstbewusstem Blick. Für Olaf sind es gerade diese Kinder, denen in der heutigen Zeit so viel mehr Macht über ihre Umwelt zufällt als noch vor Jahren. Wie zwischen den Zeilen lässt sich hier wieder das Heraufdämmern einer entfesselten und unkontrolliert wuchernden Macht in einer wachsenden Stadt der 20er Jahre lesen.
In anderen Rollen treten alte Weiber auf, die ihre letzten verbliebenen Reize anbieten und dabei den Verfall ihres Körpers nicht verbergen können. Prägnante Nachahmungen von Realitäten und intuitiv gebauter Szenen lassen die außerordentliche Spannung in den Fotografien Olafs entstehen, die dem Betrachter ebensoviel Unbehangen wie Voyerismus verschafft.
Künstlergespräch mit Erwin Olaf in der Galerie: 11. Oktober 2013, 19 h