Bauernhöfe bewirtschaften, Bonbons verzaubern, Burgen erobern – Casual Games begeistern weltweit Millionen User und sind Teil eines profitablen, hart umkämpften Massenmarkts. Simon Mikuteit verschafft Ihnen einen Einblick in die Szene
An der Haltestelle, im Café, beim Fernsehen oder zur Entspannung am Arbeitsplatz – die (nicht immer ganz) kurzen Casual Games sind Big Business und finden sich inzwischen wohl auf jedem Smartphone oder Tablet. Um die Gunst der Nutzer ringen die unterschiedlichsten Akteure: Die Auswahl reicht vom US-amerikanischen Schwergewicht Zynga über den deutschen Mobile-Spezialisten Wooga bis zu Einzelkämpfern wie Andreas Illiger, den die in Eigenregie entwickelte iOS-App »Tiny Wings« zum Millionär machte. Aber auch Studenten wagen sich mit findigen Independent-Projekten und Gründermut ins Geschäft der Casual Games.
Und tatsächlich ist die Nachfrage groß: Laut der im September 2012 veröffentlichten Roland-Berger-Studie »Casual Gaming« spielt bereits ein Viertel der Weltbevölkerung regelmäßig Casual-, Social- oder Mobile Games. Lag 2012 der zentraleuropäische Markt bei einem Volumen von rund 1,2 Milliarden Dollar, so wird er bis 2016 voraussichtlich auf 1,9 Milliarden Dollar wachsen. In Deutschland spielte 2013 laut BITKOM jeder dritte Deutsche Computerspiele. Das sind mehr als 25 Millionen Menschen – wobei die Frauen 30 Prozent des Kuchens ausmachen.
»Der Frauenanteil bei Casual Games ist bei uns mit rund 82 Prozent besonders hoch«
sagt Konstantin Nikulin, Gründer und Geschäftsführer des Hamburger Casual-Game-Publishers Intenium. Eine anspruchsvolle, weil zumeist gut informierte Zielgruppe, die viel kreativen Spielraum für App-Entwickler, Interaction-Designer und Webspezialisten bietet.
»Casual« hat viele Gesichter
Casual Games zeichnen sich durch niedrige Hardwareanforderungen und Einstiegshürden sowie rasch erzählte, eingängige Storys aus – alles ist auf das spontane Spiel zwischendurch ausgelegt. Meist bieten Gelegenheitsspiele einen durchgehend über Pop-ups oder Anzeigebalken vermittelten Spielfortschritt. Nicht selten haben sie »soziale« Features für das Spielen mit Freunden.
Die Ur-Vertreter des »lockeren« Genres sind auch in Zeiten des Mobile-Hypes noch immer über den Handel oder per Download vertriebene Brett-, Karten- und Wimmelbild- oder Hidden-Object-Spiele. Jump ’n’ Runs, lustige Shooter wie »Bubble Popp« von Game:Duell aus Berlin sowie Puzzle-, Denk- und auch Quizspiele à la »Wer wird Millionär« erfreuen sich in allen Altersgruppen großer Beliebtheit.
Doch lässt sich längst nicht jedes Casual Game mehr kurz und schnell lösen. Mit dem technischen Fortschritt, den stetig wachsenden Ansprüchen der Konsumenten sowie der steigenden Relevanz der verschiedenen Vertriebsplattformen (iOS, Android, Windows Phone) zählen inzwischen auch langwierige Spiele aus dem Mid- und Hardcore-Segment wie beispielsweise »The Avengers« oder »Die Siedler Online« dazu. Dank geschickter Konzepte sind selbst umfangreiche Aufbausimulationen oder Strategiespiele auch für unerfahrene Spieler leicht zu meistern. Eingängige Tutorials führen sie an die Spielmechaniken heran. Kurze Sequenzen lassen den Spieler »wachsen«. Über simple, vielfach verzahnte Aufgaben erzeugen die Entwickler Spieltiefe, um einen frustfreien Spielspaß für Zwischendurch zu ermöglichen, der, einmal begonnen, in vielen Fällen mehrere Stunden fesseln kann.
Zu den Casual Games zählen auch die sogenannten Branded Games, die eine Marke oder ein Produkt promoten sollen. Das Ziel: Über das Game soll eine lange, intensive und positiv geprägte Auseinandersetzung mit dem Produkt entstehen. Beispiele dafür sind Games wie die McDonald’s-Spiele »Happy Studio«, das vor allem Kinder anspricht, oder die Augmented-Reality-App »McMission«, die den Gästen mit spielerischem Ansatz das Nachhaltigkeitsengagement des Unternehmens nahe bringt. Zu den Branded Games gehört auch das Autorennspiel »GT Ride«, das die Berliner Digitalagentur Artificial Rome für den koreanischen Autohersteller KIA anfertigte. Aufträge dieser Art gehen an den arrivierten Game-Developern häufig komplett vorbei und landen bei spezialisierten Werbespiel-Agenturen wie beispielsweise Matmi New Media Design in Macclesfield, UK, oder bei Digitalagenturen, deren Fokus wie Artificial Rome auf Cutting-Edge-Design liegt.
Das schwierige Vabanquespiel der Monetarisierung
Casual Games werden in der Regel kostenlos angeboten (Free-to-play-Modell), oder die User können sie für Kleinstbeträge beispielsweise im App Store direkt erwerben (Paymium-Modell). Abo-Modelle haben sich bisher kaum durchgesetzt. Free-to-play-Games finanzieren sich über Werbung und Mikrotransaktionen, wie etwa den Kauf virtueller Spielwaffen, Kostüme oder Einrichtungsgegenstände. Bei solchen Businessmodellen steckt der Teufel oft im Detail: Um Spieler nicht abzuschrecken, müssen die Anbieter einen klugen Kompromiss aus ungebremstem Spielspaß und Monetarisierungsschleifen finden. Diese Schleifen könnten aus Premium-Items im Ingame-Shop bestehen oder aus Sonder- und Rabattaktionen sowie Optionen, den Spielverlauf abzukürzen. Die Features muss der Hersteller dazu zur richtigen Zeit an der richtigen Spielstelle kommunizieren, damit der Kunde zugreift.
Faire Free-to-play-Games vermeiden Druck und Bezahlschranken, die ein weiteres Spiel unmöglich machen würden. Der Spieler sollte unbegrenzt kostenlos spielen können: Möchte er jedoch die virtuelle Zeit beschleunigen, fertige Ressourcen einsetzen, statt diese zu produzieren, oder schneller an stärkere Rüstungen und Schwerter gelangen, kann er kleine Summen dafür einsetzen. Die Entwickler müssen lohnenswerte Anreize für diesen Schritt schaffen, denn nur ein Bruchteil (fünf bis zehn Prozent) der Gamer ist überhaupt bereit, für virtuelle Güter echtes Geld zu investieren. Der Großteil der Spielerschaft überbrückt Wartezeiten mit anderen kostenlosen Games.
»Unfaires« Free-to-play wirft dem Spieler virtuelle Knüppel zwischen die Beine, häufig nachdem er eine Zeit lang sorglos spielen konnte. Wenn der Spieler seinen Fortschritt beibehalten möchte, stellt das Game ihn vor unliebsame Entscheidungen: Er kann entweder massenhaft Freunde in sozialen Netzwerken zum Mitmachen überreden, resigniert kleine Beträge zum Überspringen von ellenlangen, repetitiven Aufträgen im Spiel bezahlen oder eben nur in zermürbender Zeitlupe vorankommen.
Neben dem Content schlägt auch die Viralität auf das Monetarisierungskonzept eines Spiels durch: Shares und Likes auf Facebook, gute Bewertungen und Rezensionen von Spielen im App Store und auf sozialen Netzwerken oder externen Webseiten sind bare Münze wert, aber nicht leicht zu bekommen. Spieler durchschauen leere Versprechungen der Entwickler und zögern nicht, öffentlich ihren Unmut kundzutun. Der Markt ist reich an gleichwertigen Produkten, der Wechsel zu attraktiveren Alternativen nur wenige Klicks entfernt.
Für unmittelbar in die Spiele integrierte Werbemaßnahmen hat sich die Branche in den letzten Jahren zunehmend geöffnet. Das kann sich lohnen: Der Werbeumsatz des Casual-Games-Anbieters King.com machte 2012 stolze 15 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Außerdem haben sich die Werbeeinnahmen aus Social Games für Facebook – vornehmlich über Pre- und Mid-Game-Werbeplätze – im letzten Jahr verzehnfacht.
Natürlich sind auch der Werbung Grenzen gesetzt. Absolute No-Gos sind zum Beispiel horrende Einmalzahlungen, damit man Werbeeinblendungen dauerhaft deaktivieren kann, oder Banner, die wichtige Bedienflächen überlagern. Auch langwierige Spielunterbrechungen oder Werbung sind »out« – denn sie alle können die Zielgruppe vergraulen.
Bewährte Praxis sind dagegen sogenannte Lite-Versionen (Demos) im App Store, die Werbung für das Spieleportfolio des Entwicklers zeigen, während sich die Vollversion weitgehend werbefrei spielen lässt. Als probates Mittel gelten Belohnungen für Spieler, die vornehmlich in sozialen Netzwerken freiwillig Werbebotschaften anklicken. Darüber hinaus tauschen Entwickler untereinander Werbeplätze innerhalb der Spiele, beispielsweise für ein neues kostenloses Game, oder Startboni für Neueinsteiger, wodurch man dann gleich gelagerte Zielgruppen für die eigene Anwendung akquiriert.
Wohin geht die Reise?
Obwohl Branchengrößen wie Bigpoint und InnoGames im Bereich Casual Games in jüngster Vergangenheit Federn lassen mussten, setzt sich der Trend zu Mobile- und Multiplattform-Games ungemindert fort. Laut Olaf Wolters, Medienexperte und ehemaliger Geschäftsführer des Bundesverbands Interaktive Unterhaltungssoftware e. V., wird sich der Free-to-play-Sektor weiter positiv entwickeln:
»Die Entwicklungskosten für Casual Games sind aufgrund des technischen Fortschritts und der massiven Konkurrenz von ein paar Hunderttausend auf bis zu zwei Millionen Euro gestiegen.«
Dabei werde es »zunehmend schwieriger, hohe Download-Zahlen zu generieren. Vor allem Big Player wie Warner Bros. und TV-Portale mit großer Eigenreichweite haben künftig die besten Chancen auf dem Markt.«
Auch wenn derzeit iOS die Plattform der Wahl sei, rät Wolters den Entwicklern, mittel- bis langfristig Kapazitäten für Android-Apps freizumachen. Und Intenium-Geschäftsführer Konstantin Nikulin sieht die Zukunft des Spieletyps in Crossplatform-Konzepten:
»Die Gamer wollen heute nicht nur mobil spielen, sondern ihr Spiel bei aktuellem Spielstand auf jedem möglichen Gerät weiterspielen. Casual everywhere sozusagen.«
Und wenn dann noch Smart TV richtig in Fahrt kommt, könnten den Casual Games rosige Zeiten bevorstehen.
iOS oder Android
Trotz der größeren Verbreitung von Android-Geräten – 69 Prozent Marktanteil weltweit im vierten Quartal 2012 – entwickeln die Developer lieber native Apps für iOS-Geräte (16 Prozent Marktanteil). Medienexperte Olaf Wolters weiß: »Der App Store hat weniger mit Raubkopierern und Malware zu kämpfen, außerdem sind die Erträge im Vergleich zu Android-Apps gleich drei- bis fünfmal so hoch.« Deshalb setzen viele Entwickler von Anfang an auf die iOS-App.
Einen weiteren Grund sieht Alexander Oswald, Blogger und Experte für Mobile-Geschäftsmodelle, in der Fragmentierung innerhalb des Android-Markts: »Durch die vielen Modelle, Displaygrößen und Softwareversionen ist der Aufwand für Developer bei Android einfach größer.« Konzentrierten sich die Entwickler dann auch noch auf nur eine Modellreihe, würde die Erreichbarkeit erst recht sinken.
Flash oder HTML5?
Auch wenn die App-Entwickler schon seit geraumer Zeit über den neuen Webstandard HTML5 diskutieren, setzen Browser- und Facebook-Spiele für Desktop-Rechner noch immer auf Adobe Flash. Der Vorteil: Flash funktioniert mit jedem Browser, und die Spiele sehen immer gleich aus. HTML5 ermöglicht plattformübergreifendes Spielen auf mobilen Endgeräten über den integrierten Webbrowser. Damit entfällt die spezifische Programmierung für iOS oder Android – theoretisch also eine tolle Lösung. Doch es gibt kaum Best-Practice-Anleitungen, wie sich mit diesem neuen Standard am effektivsten arbeiten lässt. Die Berliner Social-Games-Schmiede Wooga wagte mit dem HTML5-Spiel »Pocket Island« einen wichtigen Schritt und stellte nach einer eingehenden Beobachtungsphase den Quellcode des Titels zum Experimentieren ins Netz. Der Mobile-Spezialist konzentriert sich nach wie vor auf die Entwicklung nativer Apps. »Die Technologie ist noch nicht so weit, auch wenn HTML5 das Potenzial besitzt, den Markt zu verändern«, sagt Wooga-Mitbegründer Philip Moeser.
Erfolgsindikatoren
Entwickler messen die Qualität ihrer Spiele mit diversen Parametern, die, kombiniert ausgewertet, Schlüsse auf deren Markterfolg zulassen:
DAU-MAU-Rate DAU steht für Daily Active User, MAU für Monthly Active User: Je mehr Spieler von einer monatlichen zu einer täglichen Aktivität wechseln, desto besser.
Average Revenue Per User (ARPU) Der ARPU-Wert berücksichtigt alle Spieler.
Average Revenue Per Paying User (ARPPU) Der ARPPU-Wert betrachtet nur zahlende Spieler.
User Life Time Revenue (ULTR) Statistisches Mittel, wie viel Ertrag jeder neue Spieler einbringt, bis er das Spiel nie wieder anrührt.
Retention Wie viele der angemeldeten Spieler spielen nach x Tagen noch? Die Antwort auf diese Frage gibt Aufschluss über die DAU-MAU-Konvertierung.