Der chinesische Markt wird für deutsche Agenturen immer relevanter. Im Interview berichtet Jochen Rädeker, seit 2 Jahren mit Strichpunkt in China aktiv, von seinen Erfahrungen.
Chinas Wirtschaft boomt weiterhin unglaublich, die Bevölkerung wächst rasant. Auch für deutsche Designagenturen ist der chinesische Markt sehr spannend. Jochen Rädeker arbeitetmit seiner Agentur Strichpunkt seit etwa zwei Jahren mit chinesischen Kunden zusammen und begleitet zudem deutsche Unternehmen auf der Expansion. Im Interview erzählt er, an welche Unterschiede er sich erst mal gewöhnen musste, was chinesische Geschäftspartner erwarten – und wieso die Zusammenarbeit trotz Kommunikationsschwierigkeiten Spaß bringt.
PAGE: Wie ist Strichpunkt der Markteintritt in China gelungen?
Jochen Rädeker: Es gab zwei Wege. Für globale Unternehmen, die wir betreuen, wie Vorwerk, haben wir bereits im Rahmen der Corporate-Design-Entwicklung darüber nachgedacht, wie der stark wachsende asiatische Raum zu bewirtschaften ist. Die Vorwerk-Corporate-Designs haben wir in 16 Sprachen angelegt – darunter sind natürlich auch eine Mandarin- sowie eine kantonesische Version. Wenn wir für eine Marke wie Audi ein Interface Design entwickeln, ist es von zentraler Bedeutung, wie sich das auf Mandarin liest, weil China der wichtigste Markt ist. Der zweite Weg war und ist, dass chinesische Unternehmen auf uns zukommen.
Wieso entschließen sich chinesische Firmen für die Zusammenarbeit mit deutschen Agenturen?
Der chinesische Markt entwickelt sich rasant, die Bevölkerung wächst sehr schnell. Schaut man sich eine Stadt wie Schanghai an, die sich hinter New York wirklich nicht zu verstecken braucht, und vergleicht diese mit den ländlichen Regionen Chinas, liegen wirklich Welten dazwischen – es besteht also sehr viel Nachholbedarf. Sowohl die chinesische Regierung als auch chinesische Unternehmen sehen durchaus, dass sie das allein nicht schaffen können.
Wie kommt die Zusammenarbeit mit chinesischen Unternehmen zustande?
Die Unternehmen hören sich um, wer schon im Markt aktiv ist, sie screenen Rankings in Fachzeitschriften wie PAGE nach den besten Agenturen. Es kann passieren, dass kurzfristig eine Delegation vorbeikommt, um sich vor Ort umzusehen. Wir erhielten beispielsweise eine Anfrage der chinesischen Deli Group, weltweit größter Schreibwarenproduzent und gerade auf Expansionskurs. Es war relativ schnell klar, dass sie Expertise im Bereich Marke und Design benötigten, um die westlichen Märkte zu erschließen. Deli hat eine Kommission losgeschickt, die sich in Europa Agenturen angeschaut hat. Wir bekamen montags einen Anruf, ob wir am Dienstag eine Agenturpräsentation halten könnten, am Samstag wurden wir bereits für die nächste Woche nach Schanghai eingeladen – und eine Woche später hatten wir einen soliden Vertrag unterschrieben. Im Gegensatz zu solchen privatwirtschaftlichen Unternehmen gibt es noch den Fall, dass der Staat eine Art Entwicklungshilfe definiert und mitfinanziert.
»Das Thema Marke ist in China kulturell bedingt längst nicht so verortet und entwickelt ist wie bei uns«
Wie kann man sich das vorstellen?
In China sind Status, Glanz und Glamour wichtiger als bei uns. Dazu gehört inzwischen das eigene Auto, am liebsten eine westliche Edelkarosse – mit entsprechendem Schadstoffausstoß. In Regionen wie Schanghai oder Peking ist die Luftbelastung inzwischen katastrophal, das bleibt auch den chinesischen Offiziellen nicht verborgen. Der Staat hat deshalb ein gigantisches Förderprogramm für Elektromobilität aufgelegt – in Dimensionen, die man sich in Europa oder den USA gar nicht vorstellen kann: Start-ups in werden mit Milliardenbeträgen ausgestattet. Im Gegenzug wird gefordert, dass sie innerhalb von zwei, drei Jahren lieferfähig sind, da ist immenser Druck dahinter. Aufgrund der kurzen Fristen ist das allein mit chinesischen Mitteln gar nicht zu stemmen. Außerdem benötigen sie westliches Know-how, weil sie wissen, dass diese Produkte nicht auf China beschränkt sein werden. Die Chinesen sind diesbezüglich inzwischen selbstbewusst, sie haben verstanden, dass sie mittlerweile in der Lage sind, höchstqualitative Produkte herzustellen. Das Thema Marke ist dort allerdings kulturell bedingt längst nicht so verortet und entwickelt ist wie bei uns.
Weswegen sie sich gern an deutsche Agenturen wenden…
Designaffinität wird in China stark mit Deutschland verbunden, was unter anderem daran liegt, dass das Bauhaus in China einen hervorragenden Ruf genießt. Entsprechend suchen die Unternehmen nach potentiellen Partnern auf dem deutschen Markt.
Ist es für chinesische Unternehmen auch eine Prestigefrage, eine deutsche Agentur zu beschäftigen? Das mag durchaus eine Rolle spielen, am Ende geht es aber um professionelles, erfolgreiches Business. Die Ansprechpartner unterschiedlicher Firmen, die wir getroffen haben, nehmen uns als Wettbewerbsvorteil wahr. Sie erwarten, dass wir besseres Design machen, dass wir die internationalen Märkte besser kennen und mehr Erfahrung haben in der Markenführung. Das möchten sie nutzen. Es ist allerdings auch anstrengender, mit uns zusammenzuarbeiten.
Woran liegt das? Wie läuft die Zusammenarbeit?
Allein die Kommunikation ist teilweise mühsam: Wenn man aus den Ballungszentren herausgeht, sprechen viele Manager kein oder miserables Englisch. Und von einer deutschen Agentur kann man wiederum nicht erwarten, dass alle Mitarbeiter chinesisch sprechen. Es kann ganz schön frustrierend sein, wenn man etwas präsentiert und anschließend 30 Minuten auf Chinesisch darüber diskutiert wird, ohne dass man einschreiten kann. Wir haben deswegen mittlerweile drei chinesischsprachige Mitarbeiter eingestellt, die von Berlin und Stuttgart aus arbeiten. Die Erfahrung hat gezeigt, dass wir mit Kunden anders kommunizieren, wenn die Landessprache gesprochen wird. Auch die Hierarchien sind ganz anders als bei uns, das mittlere Management kann ohne den Chef meist keine Entscheidungen treffen. Und es ist eine kulturelle Anstrengung.
Inwiefern?
Vieles ist sehr unterschiedlich: zum Beispiel in der Geschäftsanbahnung, in der Zusammenarbeit, in der Schnelligkeit, in der Art, wie Verträge interpretiert werden. Ein sehr schnelles Tempo zieht sich durch die ganze Zusammenarbeit, chinesische Unternehmen fordern eine sehr hohe Schlagzahl, von ihren eigenen Mitarbeitern und von uns genauso. Deutsche Agenturen werden als Wettbewerbsvorteil gesehen, weil wir eine hohe Designqualität liefern – doch für chinesische Verhältnisse sind wir extrem teuer, auch deswegen ist die Erwartungshaltung gigantisch.
»Die wichtigste geschäftliche Überlegung, die man in China treffen muss: Wie sorge ich dafür, dass mein Ansprechpartner gegenüber seinen Chefs nicht das Gesicht verliert?«
Worauf legen chinesische Geschäftspartner wert?
Videokonferenzen ersetzen fast nichts, man muss wirklich vor Ort sein. Die menschliche Ebene ist in China essenziell. Das haben wir am Anfang unterschätzt. Ohne ein gemeinsames Essen ist es vollkommen aussichtslos, ins Geschäft zu kommen. Man redet in China nicht sofort über Vertragliches, erst unterhält man sich über die Inhalte, geht gemeinsam Mittagessen und Abendessen. Herrscht eine gute Atmosphäre, werden am nächsten Tag die Verträge aufgesetzt. Ein Vertrag ist in China allerdings eher eine grobe Geschäftsgrundlage.
Wie funktioniert das in der Praxis?
Man sollte damit rechnen, dass immer wieder in beide Richtungen nachverhandelt wird – Ausweitung und Eindämmung. Vieles basiert auf Geben und Nehmen: es wird erwartet, dass man bei Bedarf mehr liefert, als im Vertrag steht, ohne nachzuberechnen. Der Geschäftspartner behält es im Hinterkopf und revanchiert sich beim nächsten Auftrag. Das haben wir erst kritisch gesehen, doch es funktioniert tatsächlich. Es herrscht ein sehr feines Gespür dafür, wo man den Vertragspartner vielleicht überfordert hat und wo man ihm etwas schuldet. Am Anfang haben wir den Fehler gemacht, Vereinbarungen beispielsweise bei der Abrechnung ganz wörtlich zu nehmen, und sind dabei auf Unverständnis gestoßen.
Woran lag das?
Würden wir nachberechnen, könnte das unseren Ansprechpartner in Verlegenheit bringen, weil er es seinem Chef erklären müsste. Das ist die wichtigste geschäftliche Überlegung, die man in China treffen muss: Wie sorge ich dafür, dass mein Ansprechpartner gegenüber seinen Chefs nicht das Gesicht verliert? Denn wenn das passiert, ist es aus. Das Thema Gesichtsverlust ist sehr relevant, die gegenseitige Wertschätzung ist entscheidend. Kritik wird nicht geäußert, das wäre ehrabschneidend. Das erschwert die Entwurfskritik natürlich. »Es wäre schön, wenn wir noch etwas ausprobieren«, kann heißen: »Wir sehen grundlegende Schwierigkeiten.« Daran mussten wir uns erst mal gewöhnen.
Worauf sollte man in der Kommunikation außerdem achten?
Bei meiner ersten Chinareise zu einem Kunden habe ich eine Frage des Unternehmensinhabers in großer Runde schlicht mit einem Nein beantwortet. Kichern von allen Seiten, verschämte Blicke. Nachher hat mir der Übersetzer erklärt: Ganz heikle Lage, niemand würde sich in China trauen, in einer Versammlung von zehn Managern eine Frage des Chefs mit Nein zu beantworten. Nein sagt man aber nicht, weil es das Gesicht des anderen beschädigen könnte. Die Situation hat sich aber schön gelöst. Der Chef lachte und sagte zu den chinesischen Partnern: Deswegen arbeite ich gern mit einer deutschen Agentur zusammen, weil mir endlich jemand sagt, was Sache ist und die Deutschen Nein sagen können. Das wird also auch wertgeschätzt.
Welche weiteren persönlichen Erfahrungen haben Sie in China gemacht?
Die Tage, die wir in China verbringen, sind brutal anstrengend. Man hat in der Regel einen Nachtflug in den Knochen, geht vor Ort von Meeting zu Meeting, hat dann abends noch ein Abendessen und am nächsten Morgen geht es wieder so weiter. Im Idealfall erwartet die chinesische Delegation, dass man die Ergebnisse des Tages nach Deutschland schickt, wo sie über Nacht schon bearbeitet werden, weil man den Zeitunterschied nutzen kann. Ich habe so manche Nacht in China verbracht, in der ich nur zwei Stunden geschlafen habe. Doch das Geschäft macht enorm viel Spaß. Man sollte offen sein und niemals davon ausgehen, dass alles, was in Deutschland gilt auch in China so ist. Man sollte Lust auf eine andere Kultur und Respekt vor anderen Menschen haben, seine eigene Haltung bewahren, ehrlich sein, gute Qualität liefern und bereit sein, gleichzeitig sehr schnell und sehr professionell zu agieren. Stress sollte man aushalten können – und immer neugierig bleiben.
»Die meisten Chinesen sehen vieles selbst sehr kritisch. Sie würden es nur niemals offiziell sagen und erwarten auch, dass man sich dazu offiziell nicht äußert.«
Und welche Rolle spielt die politische Situation vor Ort?
Man muss sehr auf seine Haltung und auf seine Ethik achten, wenn man geschäftlich in China unterwegs ist. China ist kein demokratisches Land, das darf man nicht vergessen. Es gibt Themen, die man auf der politischen Agenda haben sollte. Generell habe ich die Erfahrung gemacht, dass alle Fragen möglich sind, wenn man sich im privaten Rahmen trifft, zum Beispiel in einem Restaurant. Die meisten Chinesen sehen vieles selbst sehr kritisch. Sie würden es nur niemals offiziell sagen und erwarten auch, dass man sich dazu offiziell nicht äußert. Es kam aber schon vor, dass wir im privaten Rahmen interessiert gefragt wurden, was wir von gewissen Dingen halten, die die Politik des Landes betreffen. Wir haben ehrlich geantwortet und unsere Ansprechpartner haben unsere Haltung akzeptiert – sie konnten gut damit umgehen, dass wir sie nicht verstecken oder ignorieren. Das mag bei staatlichen Unternehmen anders sein. Diese Unterscheidung ist wichtig. Genau wie wir in Deutschland nicht mit jedem zusammenarbeiten, tun wir es auch in China nicht. Wir würden uns nie auf ethisch vermintes Terrain begeben.
Wie bereiten sich deutsche Kreative am besten auf die Zusammenarbeit mit chinesischen Unternehmen vor?
Wichtig ist, sich mit der Kultur zu beschäftigen und Respekt zu entwickeln. China blickt auf 5.000 Jahre Tradition zurück, hat das Papier erfunden und das Drucken mit beweglichen Lettern – 1.500 Jahre vor Gutenberg. Das Land hat unsere Branche geprägt, man kann gegenseitig viel voneinander lernen. Auf die großen Unterschiede zwischen Städten wie Schanghai und der Provinz kann man sich kaum vorbereiten, man muss selbst vor Ort erleben, wie anders die Menschen dort jeweils ticken. Das Wichtigste ist, Offenheit und Respekt mitzubringen und nicht zu glauben, dass alles, was man aus Deutschland gewohnt ist, immer richtig ist. In einer anderen Kultur gibt es eben andere Arten, miteinander umzugehen. Ein Geschenk zu machen, wenn man ankommt, ist in China beispielsweise eine Geste, die einfach erwartet wird. Es ist auch viel wichtiger bei uns, dass man immer gute Stimmung bewahrt.
Ist das ästhetische Empfinden der Chinesen eigentlich sehr anders?
In China ist das, was wir für Luxus halten, unerreichbar. Der Standard ist billige Ware. Wenn man sich davon zu weit entfernt, und im Design zu puristisch wird, kommt das nicht so gut an. Für Deli haben Packagings im Bauhaus-Stil gestaltet, was im Markttest in Metropolen wie Schanghai wunderbar funktionierte, auf dem Land hingegen überhaupt nicht. Dann haben wir doch wieder ein paar chinesische Eigenheiten ergänzt: hier mal einen Verlauf, da mal noch ein bisschen mehr Schrift drauf. So haben Chinesen eher das Gefühl, dass die Marke mit ihnen kommunizieren kann. Die klare Linie ist zwar gewünscht und wird respektiert, doch ab und an definiert etwas mehr Bling-Bling, etwas mehr Differenziertheit, dann doch eher den Marktzutritt.
Wie geht es für Strichpunkt in China weiter? Können Sie sich vorstellen, ein Büro vor Ort zu eröffnen?
Bereits jetzt haben wir dauerhaft Mitarbeiter in China – zu einem eigenen Standort ist es kein großer Schritt mehr. Vor allem aus Vertriebs- und Projektmanagement-Sicht ist das durchaus relevant. Wir sind jetzt seit zwei Jahren auf dem Markt und haben einige Erfahrungen sammeln können. Immer wieder kommen Anfragen aus China. Gerade in der Akquisephase ist es hilfreich, ständig vor Ort präsent zu sein.