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Was ist eigentlich strategisches Design?

Strategisches Design dient dazu, innovative und relevante Lösungen zu entwickeln. Dafür vereint es Strategie, Design Thinking und Design Doing.

Strategisches Design, PAGE Connect

Derzeit gibt es wohl keine Innovationskonferenz, auf der nicht davon gesprochen wird, wie disruptive Digitalisierung, neue Wettbewerber und innovative Geschäftsmodelle bestehende Industrien grund­legend verändern oder gar komplett ver­drän­gen. Ein Unternehmen zu führen, war noch nie leicht und wird zu einer immer größeren Herausforderung in einer Welt, die an Tempo gewinnt und in der sich Markt- und Wettbewerbsbedingungen im­mer schneller ändern. Während das Kerngeschäft stabil wachsen soll, muss auf Wan­del im Markt mit der Flexibilität eines Start-ups reagiert werden.

In der Betriebswirtschaftslehre bezeich­net man diesen Doublebind als organisationale Ambidextrie: Sie herrscht überall dort, wo das Ausnutzen von Bestehendem (Exploitation) und das Erkunden von Neu­em (Exploration) gleichermaßen wichtig sind, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Um mit dieser neuen strategischen Herausforderung umgehen zu können, müssen Unternehmen sich auf allen Ebenen verändern: Kundenorientierung, Customer Experience und Innovation sind zu strategischen Top-Prioritäten geworden und ha­ben Design Thinking auf die Agenda vieler Unternehmen gebracht.

Design Thinking basiert auf der Art und Weise, wie Designer an komplexe Proble­me herangehen, um nutzer- und kundenorientierte Ergebnisse zu entwickeln, und ist Geisteshaltung, Innovationsprozess und Methodensammlung zugleich. Im Fokus stehen konkrete Ergebnisse, gewonnen durch das Identifizieren relevanter Nut­zer­bedürfnisse und das schnelle Verwandeln erster Ideen in anfassbare Prototy­pen. Design Thinking schafft die Voraussetzun­gen dafür, dass Menschen gemeinsam tech­nisch machbare, profitable und nutzerrelevante Lösungen entwickeln können.

Ohne Bezug zur Formgebung ist Design Thinking jedoch nur eine Trockenübung: Um erfolgreich zu innovieren, braucht es auch die operative Realisierung im Design. Der strategische Designer schafft einen flie­ßenden Übergang von den strate­gi­­schen Zielen über das Moderieren von Design-Thinking-Methoden bis in die hand­werk­liche Formgebung. Er managt und moderiert Designprojekte, koordiniert Design Research und treibt die Design- und Experience-Strategie inhaltlich voran.

Strategisches Design erfordert ein breites Set an Kompetenzen und Offen­heit für ständig neue Entwicklungsfelder.

Das Berufsbild des Designers hat sich – nicht zuletzt wegen der zunehmenden Ver­breitung von Design Thinking – stark gewandelt, hin zu einem Facilitator von Inno­vation. Er begleitet den gesamten Pro­dukt- und Service-Entwicklungsprozess – und muss dafür auch ursprünglich design­ferne, marktwirtschaftliche Aspekte verinnerlichen. Er nimmt Einfluss auf die Strategiefindung und muss verschiede­ne Stakeholder durch Kreativprozesse führen. Im Kern geht es um die Identifizierung von Kundenbedürfnissen, das De­finieren eines passenden Produktangebots und die Ausgestaltung eines Geschäftsmo­dells. Diese Fähigkeiten stellen neue Anforderungen an die Ausbildung von Designern, die in Deutschland bislang unzureichend erfüllt werden.

Der Ursprung

Die Arbeit von Designern ist in unserem Leben allgegenwärtig erlebbar. Ihre typi­sche Arbeits- und Denkweise hat aber erst unter dem Namen Design Thinking Anklang außerhalb der Kreativcommunity ge­funden. Ein Blick auf die historische Ent­wicklung hilft zu verstehen, dass Design Thinking keinesfalls eine neue Heran­gehensweise ist, sondern ein bewährter Ansatz mit einer langen Geschichte. Die ers­ten Grundlagen wurden durch den Wirtschaftssoziologen Herbert A. Simon bereits im Jahr 1969 gelegt. Diese gewannen in den 1980er Jahren durch die Universität Stanford und den Aufstieg des Human-Centered Designs an Popularität. Mit Gründung der Innovationsberatung IDEO im Jahr 1991 durch Stanford-Professor David M. Kelley wird Design Thinking dann für das Business adaptiert.

Der strategische Designer muss in Systemen und Plattformen denken, um das Dienste­bündel eines Unternehmens zu orchestrieren.

Zunächst hatte Design Thinking einen starken Produktfokus, aber durch das verstärkte weltweite Aufkommen von Service-Design-Beratungsfirmen seit 2001 erweiterte sich der Fokus auf Dienstleistungen, Prozesse und Kulturveränderungen. Auch in den klassischen Unternehmensbera­tun­gen und vielen Konzernen hat Design Thinking stark an Bedeutung gewonnen. Die führenden Beratungsfirmen haben in den letzten Jahren Designagenturen akquiriert und bauen strategische Designabteilungen auf, wie etwa Accenture mit Fjord und SinnerSchrader.

Um Unternehmen wettbewerbsfähig für die Zukunft zu machen, empfehlen renommierte Beratungen wie McKinsey & Company und Roland Berger die strategische Implementierung von Design Thin­king auf allen Unternehmensebenen. Der Hype um die methodische Herangehensweise von Design Thinking führt in der Praxis jedoch häufig zu einer Überfokussierung der Ideationsphase. Zwar stehen bei den entwickelten Ideen die Kundenbedürfnisse im Mittelpunkt, doch mangelt es den Akteuren in vielen Fällen am Blick für konkrete Unternehmensrealitä­ten und für die Skalierbarkeit von Geschäftsmodellen. An dieser Stelle können strategische Designer gegensteuern, denn ihr Playbook enthält zusätzlich zu Idea­tionsmethoden auch zahlreiche Elemente aus den Bereichen Stra­tegieentwicklung, User Research und der konkreten gestalterischen Umsetzung.

Der Dreiklang des strategischen Designs

Der strategische Designer kombiniert Stra­tegie mit Design Thinking und Design Do­ing. Dabei gibt die Strategie die Richtung vor, wo und wie das Kundenerlebnis mit Design gestaltet werden soll. Idealerweise beginnt dies schon mit der Definition von Suchfeldern für Innovation, also noch bevor überhaupt bekannt ist, was die eigentliche Projektherausforderung ist. Dafür führen strategische Designer Trendanalysen durch, betreiben Forecasting, indem sie Prognosen zur Unternehmensent­wick­lung aufstellen, und führen Daten­ana­ly­sen durch. Kurz, sie beobachten den Markt und skizzieren Zukunftsszenarien, um jene Bereiche und Themen zu identifizieren, die in Zukunft relevant werden könnten.

Die Produktstrategie definiert, wie sich die Unternehmensziele in ein einheitli­ches, harmonisches Kundenerlebnis über­setzen lassen und eine unterscheidbare, konkurrenzfähige Produkterfahrung geschaffen werden kann. Dies erfordert eine klare Abstimmung von Markenführung, Produktentwicklung, Portfoliomanagement, Serviceprozessen und Marketingmaßnahmen. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen physischen, digita­len und Service-Produkten und ein über das gesamte Konzern-Ökosystem einheit­liches, kohärentes Kundenerlebnis gewinnt zunehmend an Bedeutung. Eine gu­te Strategie ermöglicht eine durchgängig niedrigschwellige Nutzung der Produkte und damit eine Eroberung der Kundenschnittstelle, um durch Cross- und Upselling weiteren Mehrwert zu schaffen und die Kundenbindung durch die Integration von Drittservices weiter auszubauen. Der strategische Designer betrachtet daher das Produkt im Gesamtzusammenhang und denkt in Produktplattformen statt in einzelnen Produkten, um die verschiedenen Produkte eines Unternehmens zu orchestrieren.

Startpunkt einer guten User Experi­ence sind die Kundenbedürfnisse. Design Thinking befähigt den strategischen Designer, diese zu identifizieren und darauf basierend relevante Angebote zu entwickeln. Es beruht auf drei Kernprinzipien: Nutzerzentriertheit, Multidisziplinarität und Lernend-nach-vorne-Gehen.

Die Nutzerzentriertheit ist der Ausgangspunkt für den gesamten Prozess, hier werden Bedürfnis- und Problemfacetten der Nutzer ermittelt. Technische Machbar­keit und wirtschaftliche Aspekte spielen erst später eine Rolle, denn es lohnt sich nur dort zu innovieren, wo ein relevantes Kundenbedürfnis besteht.

Multidisziplinäre Teams helfen dabei, bestehende Unternehmenssilos aufzubre­chen. Erst die Kombination unterschiedli­cher Sichtweisen und Expertisen bringt ein einheitliches Kundenerlebnis über sämt­liche Touchpoints hinweg sowie tragfähi­ge Lösungen.

Lernend-nach-vorne-Gehen beschreibt, wie mithilfe von frühen Prototypen und Kundentests erste Annahmen überprüft werden können. Durch das iterative Vorgehen in mehreren Schleifen ist auch das wiederholte Scheitern prozessimmanent und kann dabei helfen, ohne große Verlus­te schnell Lernerfahrungen zu machen.

Ein kompaktes Workshopformat, um verschiedene Stakeholder zusammenzubringen, sind beispielsweise fünftägige Design-Sprints, in denen fokussiert Lösun­gen entlang des Design-Thinking-Prozesses erarbeitet werden. Durch die Moderation von mehreren aufeinanderfolgen­den Sprints wird die Produktvision nach und nach verfeinert und getestet. Zu ihrer Ausformulierung gehört auch ein tragfähiges Geschäftsmodell. Design Thinking wird hierfür mit Methoden aus dem Lean-Startup-Ansatz und der Business-Model-Generierung erweitert.

Im Kern der Realisierung sollten stets ein übergreifendes Design Management, eine agile Projektumsetzung und eine kon­tinuierliche Weiterentwicklung stehen. Bei der Umsetzung des User Experience Designs werden verschiedene Designdisziplinen durch ein übergreifendes Design­management miteinander verknüpft, wie Informations-, Interaktions-, Interface-, Produkt-, Environmental- und Service Design. Bei digitalen Produkten ändert sich zudem die Rolle des Marketings. Die Marke wird vom Kunden nicht mehr nur in Form emotional aufgeladener stati­scher Designelemente wahrgenommen. Vielmehr rückt das Interface zum Kunden zunehmend in den Kern der Markenführung. Dies kennzeichnet einen Paradigmenwechsel vom klassischen zum Built-in-Marketing, bei dem die Marketingleis­tung zum festen Produktbestandteil wird. Der strategische Designer integriert daher nicht nur Funktionen des Marketings, sondern koordiniert auch ein Designsys­tem, das die Kundenerfahrung über verschiedene Geräte, Plattformen und andere Touchpoints hinweg kohärent gestaltet.

Dazu gehört auch das Designen von Schnitt­stellen zum Kunden – innerhalb des Unternehmens und zu Partnern –, was die Auseinandersetzung mit und die Defi­ni­ti­on von Unternehmensprozessen und Kon­zernarchitektur erfordert. Denn nur durch klar definierte Schnittstellen kann sichergestellt werden, dass die gewünschte Einfachheit und Personalisierung an der Kundenschnittstelle reibungslos erlebt wird.

Die Zukunft

Die Beliebtheit von Design Thinking bei Nicht-Designern ist ein zweischneidiges Schwert. Es schafft zwar eine größere Sensibilisierung für die Kundenbedürfnisse und integriert die Perspektiven verschiedener Stakeholder. Ein paar Workshops mit Post-its reichen jedoch nicht aus, um Manager zu Designern zu machen. Um den Innovationsansatz nachhal­tig und erfolgreich zu integrieren, muss ein Wandel von Design Thinking hin zu einer designgetriebenen Kultur stattfinden (siehe Grafik).

Strategisches Design Statt vereinzelter Design-Thinking-Workshops mit einer vordefinierten Herausforderung (B) und einem groben Prototyp als Ergebnis startet strategisches Design früher und endet später.Hierdurch findet eine stärkere Verzahnung mit der langfristigen Strategieplanung (A) , mit dem Business Management (C) sowie mit bestehenden Implementierungsprozessen (D) statt. So prägt Design Thinking die gesamte Wert­schöp­fungs­kette in kundenorientierten Unternehmen. Dieser Wandel ist bei Unternehmen wie SAP, Intuit, Deutsche Telekom und IBM zu erkennen, die Design strategisch implementieren.

Klicken Sie hier, um die Grafik größer anzuzeigen.

Eine gute Umsetzung der Produktvi­sion geht – auch wegen der Komplexität digitaler Produkte – weit über die Gestaltung der Oberfläche hinaus. Für den strategischen Designer liegen in der Begleitung dieser Veränderung und den neuen Anforderungen in seinem Arbeitsalltag große Chancen. Sein Berufsfeld erfordert ein breites Spektrum an Kompetenzen, insbesondere in den Bereichen Brand-, Corporate- und Identity Design, im Business- und Service Design, in der Gestaltung von Unternehmensprozessen und -architektu­ren sowie in den Bereichen Interaction- und Interface Design.

Designer, die die komplette Palette an Kompetenzen, Methoden und Werkzeugen beherrschen, sind heute noch selten. Dies wird sich aber ändern (müssen), denn der Bedarf an solchen Talenten wird mit der Digitalisierung immer weiter zunehmen.

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