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Fokussieren statt verzetteln

Warum Marken heute einen klaren Fokus setzen müssen, erklärt unser Kolumnist Jürgen Siebert

Die Kunst der inhaltlichen und damit einhergehenden qualita­tiven Fokussierung . . . Sie ist beneidenswert. »Curves«, ein Liebhabermagazin für »soulful driving«, widmet sich nur einem The­ma: kurvenreichen Straßen in aller Welt. Ähnlich fokussiert, nämlich auf ein einziges redaktionelles Format, ist die Zeitschrift »Galore Interviews«, die sich auf Gespräche mit interessanten Persönlichkei­ten konzentriert. Die Fokusstrategie könnte sich in den nächsten Jahren als wichtigste Leitlinie nicht nur für Medien herausstellen. Egal, ob es um ein Informationsangebot geht, einen Service oder ein Produkt: Definiere es eng und liefere Tiefe in der Qualität!

Das Informationsangebot im Netz, das wir alle schätzen, ist das exakte Gegenteil von Fokussierung. Wer seine Social-Media-Kanäle richtig einstellt, die nützlichsten Newsletter abonniert und Bookmarks ordentlich pflegt, gewinnt einen umfassenden Über­­blick. Keine Tageszeitung war jemals kompletter, persönlicher, aktueller . . . und kompakter. Und weil sich diese Informa­tionen effizient konsumieren lassen, gewinnen Digital Natives zunehmend Zeit für fokussierte Angebote, vor allem im realen Leben. Kaffee, der in zehn Minuten zubereitet wird . . . die Entdeckung der Langsamkeit.

Das sich hier abzeichnende Wechselspiel zwischen Breitband (digital) und Fokus (analog) macht deutlich: Es geht nicht darum, mit Scheuklappen durchs Leben zu laufen. Das wäre unvernünftig, denn die Märkte entwickeln sich nicht nach Plan. Anpassungsfähigkeit bleibt ein wichtiger Erfolgsschlüssel. Beim Fokussieren geht es um langfristige Ziele, die Unternehmen erreichen möchten, weil sie ihnen wichtig sind und ihre Zukunft sichern. Doch wie fokussieren Marken, Agenturen und Designer ihre Produkte? Eigentlich gar nicht schwierig, wenn man drei Prinzipien im Auge behält.

Strategische Faulheit.
Das bekannte Paretoprinzip besagt, dass 80 Prozent der Ergebnisse mit 20 Prozent des Gesamtaufwands erreicht werden; die verbleibenden 20 Prozent der Ergebnisse fressen 80 Prozent der Zeit. Diese Einsicht wird oft im Projektmanagement eingesetzt, um rasche Fortschritte bei relativ guten Resultaten zu erzielen. Sie hilft zudem, Arbeiten zu identifizieren, die aufgeschoben oder weggelassen werden können. Typi­sche Erkenntnis von Unternehmen: 80 Prozent unseres Umsat­zes werden mit 20 Prozent unserer Produkte/Kunden erreicht.

Weniger ist mehr.
Ein bewährter Designgrundsatz, der sich gleichermaßen auf Produkte und Dienstleistungen anwenden lässt. Vorbilder auf diesem Gebiet sind für mich die leicht verständlichen Services und Apps von PayPal und MyTaxi. »Geld sen­den«, »anfordern« und »sammeln« – mehr Funktionen braucht es nicht bei PayPal. Während MyTaxi schlicht den Bestellbutton präsentiert, fragen andere Taxi-Apps erst mal nach dem Ziel und nerven dann mit Upselling-Optionen. Ein Sprichwort sagt: »Wer zwei Hasen gleichzeitig jagt, wird keinen davon fangen.«

Kundenorientiert entwickeln.
Schon vor dreißig Jahren klagte Erik Spiekermann darüber, dass sich die Manager seiner Auftraggeber – Bahn und Berliner Verkehrsbetriebe – mit Flieger oder Limousinen von A nach B transportieren ließen. Das ist zwar nachvollziehbar, steht aber richtungsweisenden Weichenstellun­gen von ganz oben entgegen. Wie benutzerfreundlich könn­ten Tarifsysteme und Automaten längst sein, wenn ÖPNV-Manager reihenweise daran scheiterten. Bei Apple läuft das seit Jahrzehn­ten so: Die Executives selbst führen die neuesten Produkte auf der Bühne vor und bestätigen deren Narrensicherheit.

Der letzte Punkt scheint mir tatsächlich der wichtigste zu sein. US-Manager bezeichnen das Nutzen der eigenen Produkte auch als Dogfooding (= eating your own dog food): Alle großen Unternehmer haben das praktiziert, teils manisch: Ingvar Kamp­rad (IKEA), Theo Al­brecht (ALDI) und natürlich auch Steve Jobs (Apple). Nicht von ungefähr sind diese Unternehmen dauerhaft Marktführer in ihrem Bereich.

Egal, ob es um ein Infor­mationsangebot geht, einen Service oder ein Produkt: Definiere es eng und liefere Tiefe in der Qualität!

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