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»Webdesigner müssen verstehen, was Grafikdesign für sie tun kann«

Jen Simmons, Designer Advo­cate bei Mozilla und Betreiberin des Blogs »The Web Ahead«, findet gängige Grid-Systeme langweilig, weil alle die gleichen nutzen …

Jen Simmons, Designer Advo­cate bei Mozilla und Betreiberin des Blogs »The Web Ahead«

Melancholisch schielt Jen Simmons auf die wundervollen, überaus kreativen Layouts, die sie in Büchern und Magazinen entdeckt. Aktuelles Webdesign findet sie dagegen unheimlich langweilig. Als Designer Advocate bei Mozilla verbringt sie ihre Zeit damit, die kommende Revolution im Webdesign zu erforschen und darüber zu schreiben. Sie spricht auf Konferenzen und wirbt wie eine Missionarin weltweit für moderne Webdesign-Tools. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Webdesigner zu überzeugen, ihrer Kreativität außerhalb gängiger Grid-Systeme freien Lauf zu lassen.

 

Viele Websites basieren auf den immer gleichen Rastern. Was sollten Designer ändern?
Jen Simmons: Websites sind nicht langweilig, weil wir Grid-Systeme nutzen, sondern weil alle die gleichen nutzen. Herauskommt ein zwölfspaltiges sym­metrisches Design. Designer sollten lieber für jedes Projekt ein eigenes Grid selbst gestalten. Endlich haben wir die Werkzeuge für tolle Layouts im Web. Das heißt auch, dass wir – ganz im Sinne des klassischen Grafikdesigns – layouten können, ohne uns an festgelegten Rastern zu orientieren. Schließlich geht es darum, mittels Text und Visuals Geschich­ten zu erzählen. Was im Editorial Design meist wun­derbar gelingt, bleibt im Web oft auf der Strecke. Altbekannte, bei jeder Gelegenheit eingesetzte Ras­ter wie Bootstrap oder Foundation unterstützen die Geschichten nicht. Im Gegenteil, die Inhalte werden in die Grids hineingepresst, und die eigentliche Geschichte geht verloren.

Gilt dies auch für Firmenwebsites?
Das gilt für jede Art von Website, ob Corporate, Non-Profit, persönliche Website, Portfolio oder was auch immer. Sie sollten den User zwar schnell zu den wichtigen Informationen führen und Konsumgewohnheiten berücksichtigen, dennoch sollte man sich vom Mitbewerber differenzieren. Alle haben ein Hero-Bild und drei Spalten – wie wollen sie sich da unterscheiden? Mich wundert immer wieder, dass alle, die in der Tech-Industrie arbeiten, glauben, dass alle anderen auch in der Tech-Industrie arbeiten. Aber was ist mit den vielen Websites von Zeitungen, Magazi­nen, der Mode-, Reise oder Foodindustrie? Warum sollte ein opulent gestaltetes Magazin wie die »Vogue«, die stolz ist auf ihre tollen Fotostrecken, auf der Website plötzlich mit kleinteiligen Kästchen arbeiten? Das macht weder für die User Experience noch für die Marke Sinn.

Sollen wir die Grid-Systeme vergessen?
Könnten wir, weil wir nun in CSS alle Möglichkeiten haben, um jedes Layout zu produzieren. Flexbox und CSS Grid sowie weitere Spezifikationen, die im Laufe des Jahres folgen, eröffnen ganz neue Mög­lich­keiten. Mit CSS Grid brauchen wir die Frameworks nicht mehr. Wir müssen nicht mehr an diesem zwölf­spaltigen Raster festhalten, sondern können eine Menge anderer Variationen wählen. Man kann Dinge tun, die mit Boostrap oder Foundation unmöglich wä­ren.

Für künftige Projekte braucht man also kein Tool mehr, das von jemand anderem entwickelt wur­de.

Vielmehr sollten Webdesigner ihr eigenes Sys­tem kreieren und kundenspezifische Layouts anfertigen, die sie dann ihrem Style-Sys­tem hinzufügen.

Was ist mit Werbung und anderen Standards in der Seitenleiste?
Wenn man CSS Grid benutzt, heißt das nicht gleichzeitig, dass man niemals mehr eine Sidebar hat. Im Gegenteil, CSS Grid zeigt dem Designer sogar an, wie groß die Sidebar sein muss, um Werbung und an­dere Standards unterzubringen. Allerdings haben unzählige Usability-Tests gezeigt, dass User nicht auf Sidebars achten. Alles, was man dort unterbringt, ist eigentlich unsichtbar. Ich benutze sie deswegen überhaupt nicht mehr, übrigens genauso wenig wie Kopfzeilen, die meist auch mit Werbung gepflastert sind und auf die ebenfalls niemand achtet. Wir müs­sen uns da einfach bessere Designs ausdenken.

Welche Werkzeuge können dabei helfen, bessere Layouts zu schaffen?
Das wichtigste Tool für mich ist CSS. Nicht jeder Designer muss coden können, aber um wirklich tolle Webdesigns umzusetzen, muss man wenigstens wissen, wie CSS funktioniert. Um Stärken und Schwä­chen von CSS zu identifizieren, kann man mit ei­nem Developer kollaborieren – oder man lernt es selbst. Wenigstens einfache Prototypen sollte man erstellen können.

Ein wichtiges Tool zur Inspiration sind Grafikdesignarbeiten in Magazinen, auf Plakaten in Büchern oder wo auch immer, weil man davon profitiert, wenn man dem Web für einen Moment den Rücken kehrt. In den vergangenen Jahren habe ich viele Bücher über die Geschichte des Grafikdesigns gesammelt, um zu verstehen, was Grafikdesign für uns tun kann. Warum will man einen Absatz vergrößern? Wa­rum will man manche Dinge in drei oder vier Teile zerbrechen? Warum man ein Layout so oder so gestaltet, erfährt man eher in Büchern als im Web.

Mehr zum Thema »Raster im Webdesign« gibt es in PAGE 08.2017.

 

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Definitiv muß auch der/die Grafikdesigner*in verstehen, wo die Grenzen des Webdesigns sind.

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