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Multilinguales Design: Interview mit Ben Wittner von Eps51

Fonts im bilingualen Design: worauf man achten muss und was für Herausforderungen sich daraus ergeben – und was für kreative Möglichkeiten!

Foto: Julian Baumann/Shutterstock

In PAGE 09.2014 widmen wir uns dem Thema Multilinguales beziehungsweise Multi-Script Design. Dazu sprachen wir mit Ben Wittner (Foto: oben rechts) vom Berliner Designstudio Eps51, das sich auf bilinguales Design mit Arabisch und Englisch spezialisiert hat.

Die englische und arabsiche Schrift unterscheiden sich nicht nur stark in ihrer Form – sie werden auch noch in entgegengesetzte Richtungen geschrieben und gelesen. Daraus ergeben sich vollkommen neue Herausforderungen für Grafikdesigner – aber auch neue kreative Möglichkeiten.

Wir sprachen mit Ben Wittner darüber, worauf man bei der Auswahl von Fonts im bilingualen Design achten muss und wie man das Leserichtungs-Problem kreativ lösen kann. Ein Beispiel dafür ist die Visual Identity für das Kunstfestival Alwan 338 in Bahrain, das Eps51 gestaltete (siehe unten). Der englische und arabische Text stehen hier im 180°-Winkel zueinander. Weitere interessante Beispiele (etwa mit Hebräisch und Chinesisch) sehen Sie in PAGE 09.2014, die Sie in unserem Shop bestellen können.

Dokumentation für das Kunstfestival Alwan 338 in Bahrain von Eps51

»Ein Fehler ist immer, eine Sprache zuerst komplett durchzugestalten. Was in einer Sprache super funktioniert, kann bei einer anderen überhaupt nicht passen«

PAGE: Bilinguales Design ist euer Steckenpferd. Wie kamt ihr dazu?

Ben Wittner: Während eines Auslandssemesters in Kairo im Jahr 2004 lernten Sascha Thoma und ich den Direktor der Townhouse Gallery kennen, einer Galerie für zeitgenössische Kunst, für die wir Plakate, eine Website und eine neue Corporate Identity gestalteten. Das war unser erster Kontakt mit arabischer Schrift. Seitdem hat sich viel getan.

Inwiefern?

Damals war es noch sehr umständlich, mit arabischer Schrift zu arbeiten. Man musste den arabischen Text in zwei bis drei Programmen hin und her kopieren, in einer Spezialversion von Quark Express in Pfade umwandeln, in Freehand kopieren, spiegeln und so weiter. Wenn man da einen Fehler gemacht hat, dauerte es sehr lang, ihn wieder auszubügeln. Mit der Einführung von OpenType und Unicode ist das wesentlich einfacher geworden. Jetzt funktionieren Fonts plattformübergeifend. Mit der Middle-East-Version von Adobe kann man arabische Texte ganz normal schreiben, kopieren und bearbeiten.

Wie ging es gestalterisch bei euch weiter?

2006 sind wir zurück nach Kairo gegangen und haben das Forschungsprojekt »TalibType« ins Leben gerufen, was gleichzeitig unsere Diplomarbeit war. Das Ergebnis war die Bücherreihe »Arabesque – Graphic Design from the Arab World and Persia« (Gestalten Verlag, 2008 und 2011) in der wir einen tiefen Einblick in die arabische und persische Grafikdesign-Szene geben. Daraus ergaben sich wieder neue Projekte, wie die Ausstellung »Right to Left« 2012 in Berlin. Dort stellten wir 165 Poster von über 40 arabischen Künstlern aus und luden rund 20 von ihnen ein, um Vorträge und Präsentationen zu halten. Bilinguales Gestalten war dabei fast immer ein Thema.

Worauf muss man achten, wenn man eine Schrift für bilinguales Design mit arabischer und lateinischer Schrift auswählt?

Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder kombiniert man die beiden Schriften harmonisch miteinander. Dann müssen sie sich im Kontrast und Schwarzwert ähneln. Diese Methode macht besonders bei Corporate Identities und der Gestaltung von Büchern Sinn. Oder man hebt bewusst die Unterschiede hervor – etwa auf Postern und Plakaten. Allgemein gesehen ist bilinguales Arbeiten einfacher geworden, weil in letzter Zeit viele arabische Pendants zu bereits existierenden lateinischen Schriften entstanden sind – zum Beispiel Frutiger Arabic oder Neue Helvetica Arabic. Vor allem Linotype bietet gemeinsam mit der libanesischen Schriftdesignerin Nadine Chahine eine Vielzahl an Fonts an, die beide Schriftsysteme beinhalten.

Was zeichnet solche Pendant-Fonts aus?

Als wir zum ersten Mal in Kairo waren, gab es den Trend, lateinische Buchstaben so lange zu drehen, auseinanderzuschneiden und neu zusammenzubauen, bis ein arabischer Buchstabe dabei herauskam. Das ist im Grunde eine Vergewaltigung der Schrift und aus heutiger Sicht ein absolutes No-Go. Es geht nicht darum, die Formen so sehr anzugleichen, dass man sie nicht mehr unterscheiden kann. Sondern darum, die Form der arabischen Schrift zu respektieren, charakteristische Merkmale des lateinischen »Schwester-Fonts« ins arabische zu übersetzen und den Schwarzwert anzugleichen, damit die beiden Schriften gut nebeneinander stehen können.

Das ist auch wichtig, weil man selbst in komplett arabischen Texten oft englische Wörter verwendet – wie E-Mailadressen oder Links. Wenn die Schriften nicht zusammen passen, stechen diese Wörter extrem heraus. Das lässt sich mittlerweile gut vermeiden. Allerdings gibt es immer noch sehr viel weniger arabische Fonts als lateinische, aber die Zahl steigt stetig.

Wie sieht es mit Webfonts aus?

Hier gelten die gleichen Kriterien und Maßnahmen wie für lateinische Schriften: Es geht um gute Lesbarkeit. Punzen weiter öffnen, Rundungen vergrößern et cetera. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Droid Naskh für Google Android von Pascal Zoghbi.

Typografie ist also eine große Herausforderung im bilingualen Design. Gibt es auch im Layout und der Bildsprache Unterschiede, auf die man achten sollte?

Im Editorial Design steht man vor allem vor dem Problem, dass Arabisch von rechts nach links gelesen wird – und Bücher für unser Verständnis von hinten nach vorne. Auch hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen: Die einfachste ist, Englisch links beginnen zu lassen und Arabisch rechts. Dann treffen sich beide in der Mitte und man hat im Grunde zwei Bücher. Das Blöde daran ist, dass man alles doppelt machen muss. Wir suchen immer nach Möglichkeiten, wie die beiden Schriften nebeneinander stehen können und ein großes Ganzes bilden.

Wie zum Beispiel?

Eins unserer Projekte, bei dem das gut funktioniert hat, ist das Buch »Indicated by Signs«. Dabei handelt es sich um einen Künstlerkatalog, bei dem nicht wichtig war, in welcher Reihenfolge die Beiträge im Buch erscheinen. In dem Fall konnten beide Sprachen nebeneinander stehen – und je nach Leserichtung geht der Betrachter von Artikel 1 bis 12 oder andersrum vor. So können arabische und englische Leser ohne Irritationen nach ihren Vorlieben das Buch durchblättern. Allein das Vorwort und die Einleitung waren voneinander getrennt.

Ebenfalls eine interessante Lösung ist das Booklet »How to disappear«, das in einem Studenten-Workshop entstand, den wir an der UdK Bremen gegeben haben. Die Publikation ist an beiden Seiten gebunden und der Leser schneidet seiner Leserichtung entsprechend die Fäden an einer Seite auf.

Heißt das, dass bilinguales Gestalten vor allem für den kulturellen Bereich eine Rolle spielt?

Nein. Auch im Corporate-Bereich ist es sehr wichtig und in der arabischen Welt überall präsent – vom Straßenschild über das Leitsystem am Flughafen bis hin zu Werbung und Corporate Identities von internationalen Firmen. Hier kommen besonders die arabischen Pendants zu lateinischen Schriften zum Einsatz. Dabei gibt es verschiedene Herangehensweisen: In der Golfregion ist alles sehr slick mit modernen arabischen Schriften, die auf dem Kufi-Stil basieren und ähnlich wie Grotesk-Schriften linear aufgebaut sind. Im Iran sieht man dagegen mehr Naskh-Schriften, die kalligrafisch angehaucht sind und wie Serifen-Fonts unterschiedliche Linienstärken haben.

Gibt es Fehler im bilingualen Design, die euch öfter auffallen?

Ein Fehler ist immer, eine Sprache zuerst komplett durchzugestalten. Was in einer Sprache super funktioniert, kann bei einer anderen überhaupt nicht passen – etwa hinsichtlich des Grundlinienrasters. Im Arabischen gibt es viel mehr Über- und Unterlängen, weshalb man einen höheren Zeilenabstand braucht. Das passt wiederum nicht zum Schwarzwert des Englischen. Wenn man weiß, dass ein Projekt bilingual wird, sollte man beide Schriften gleichzeitig im Blick haben, damit sie optimal zueinander passen. Nur so entsteht ein für beide Sprachen schlüssiges Gestaltungsraster.

Man arbeitet nicht nur mit zwei unterschiedlichen Schriften, sondern auch verschiedenen Kulturen. Worauf muss man achten?

Kulturelle Unterschiede gibt es bei allen Auftraggebern außerhalb Deutschlands, nicht nur in der arabischen Welt. Mit einem gewissen Maß an Einfühlungsvermögen und Cleverness ist das überhaupt kein Problem. Bei der Gestaltung kommt es drauf an, für welches Land man gestaltet. In den meisten arabischen Staaten muss man bei der Bildwelt natürlich darauf achten, keine nackte Haut zu zeigen.

Besonders an den Hochschulen ist bilinguales Design eher ein Nischenthema.

Ja, das stimmt. Aber mit hoher Wahrscheinlichkeit werden viele Gestalter irgendwann bilingual arbeiten und mit verschiedenen Schriftsystemen in Berührung kommen – sei es nun Arabisch oder eine asiatische Schrift. Die Welt wird immer globaler. Das ist nicht mehr aufzuhalten und macht sich auch in der Gestaltung bemerkbar.

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