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Interview: Food & Design

»Die nie hundertprozentige Steuerbarkeit von Prozessen zu akzeptieren – das ermöglicht kreative Offenheit«. Roland Nachtigäller, Direktor des MartA Herford, über Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Kreativlaboren und Küchen.

»Die nie hundertprozentige Steuerbarkeit von Prozessen zu akzeptieren – das ermöglicht kreative Offenheit«. Roland Nachtigäller, Direktor des MARTa Herford, über Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Kreativlaboren und Küchen.

In unseren neuen Ausgabe, PAGE 11.2012, die ab kommendem Donnerstag am Kiosk liegt, widmen wir uns unter anderem dem Thema »Food & Design«. Essen und Kochen inspirieren Künstler seit jeher – und heute lassen sich Kreative aller Sparten davon beflügeln. Mit Roland Nachtigäller, Direktor des MARTa Herford, sprachen wir über das Thema.

PAGE: Gerade ist die MARTa-Herford-Ausstellung »Atelier + Küche = Labore der Sinne« zu Ende gegangen, in der epochenübergreifend künstlerische Darstellungen der Orte zu sehen waren, in denen Künstler und Köche arbeiten. Was verbindet sie denn?

Roland Nachtigäller: Beide Orte stellen eine Verbindung zu den Sinnen her. Sinnlichkeit nimmt sowohl beim Kochen als auch bei der künstlerischen und gestalterischen Arbeit eine wesentliche Rolle ein. Außerdem verbindet Kochen das Alltägliche mit dem Künstlerischen.

Und was sind die Unterschiede?

Die Arbeitsabläufe in Küchen sind klarer geordnet und ergebnisorientierter – in Künstlerateliers ist es nicht so dramatisch, wenn es nicht sofort ein greifbares Ergebnis gibt. Aus der Küche hingegen sollten genießbare Mahlzeiten hervorgehen. Ansonsten haben wir ja gerade in unserer Ausstellung gezeigt, welch große Nähe diese Labore aufweisen.

Ihre Favoriten in der Schau?

Zum Beispiel das Stillleben Gerrit van Vughts und immer wieder Giorgio Morandi. Dessen Arbeiten faszinieren mich mit ihrer Ruhe, der Undurchschaubarkeit. Auch bei van Vught gibt es dieses große Geheimnis; das Gemälde schwankt zwischen klar definierter Ordnung und völliger Auflösung. Als Betrachter ist man hin- und hergerissen, ob man es im Kontext seiner Zeit oder unter zeitgenössischen Vorzeichen lesen soll.

Gegenwärtig sieht man in der visuellen Kommunikation häufig Stillleben, angelehnt an die Werke der Alten Meister. Wie erklären Sie sich das?

Eine Tendenz zu Stillleben und Landschaftsmalerei erleben wir auch in der Kunst. Eine These wäre eine kindliche Sehnsucht nach Sicherheit: Menschen greifen in unsicheren Zeiten gern auf deutliche Ordnungen zurück, wie sie etwa die Symbolik der Stillleben suggeriert. Das ist aber – besonders in der Werbung – ein großer Irrtum, denn mit den damaligen Wertesystemen sind die meisten Menschen – nimmt man Kunsthistoriker einmal aus – nicht mehr vertraut.

Aber ist es nicht auch das Geheimnisvolle und Subtile, was heute – gerade in der bislang eher plumpen Darstellung von Nahrungsmitteln in der Werbung – fasziniert?

Möglicherweise. Angedeuteter Schimmel, ein versteckter Käfer – das Ahnungsvolle solcher Vanitas-Symbolik schafft ja qua Imagination eigene Welten, in die man eintaucht. Das harte Licht der Realität verleitet da weniger zum Träumen.

Zum Schluss: Was können Werber und Designer von Köchen lernen?

Vielleicht etwas von der Faszination am Alchemistischen. Man bringt Zutaten zusammen und weiß nie genau, wie sie reagieren. Das Geheimnis zu bewahren, die nie hundertprozentige Steuerbarkeit von Prozessen zu akzeptieren – das ermöglicht kreative Offenheit.


Links zu internationalen Magazinen, die Essen mit Kunst, Kultur und Gestaltung zusammenbringen:

Eat Me Magazine, London
http://eatmeonline.com/

Effilee – Magazin für Essen und Leben, Hamburg
http://www.effilee.de

Fool – food insanity brilliance & love, Malmö
http://fool.se/

Gastronomica – The Journal of Food and Culture, Berkeley
http://www.gastronomica.org/

Fire and Knifes, London
http://local.fireandknives.com/

Hot Rum Cow, Edinburgh
http://www.hotrumcow.co.uk/

Lucky Peach, San Francisco
http://www.mcsweeneys.net/luckypeach

Meatpaper, Magazin über Fleisch und Kunst
http://www.meatpaper.com/

Port Culinaire – Sicherer Heimathafen für Gourmets, Köln
http://www.port-culinaire.de/

The Art of Eating, St. Johnsberry/Vermont
http://www.artofeating.com

The Gourmand, London
http://thegourmand.co.uk/

Tong – About Wine, Stekene, Belgien
http://www.tongmagazine.com

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