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Wahrheit gestalten

Unser Kolumnist Jürgen Siebert freut sich auf eine 180-Grad-Wende der Medien.

Foto: Norman Posselt

Erfundene Nachrichten gibt es, seit die Menschen schreiben können. Vor 20 Jahren hießen sie »Hoaxes«, vor 40 Jahren »Enten«, davor »Märchen« – heute eben »Fake News«. Das Geschäftsmodell der Yellow Press basiert mehrheitlich auf frei erfundenen Geschichten. Und es war durchaus akzeptiert, solange es sich um die Welt der Königshäuser drehte. Doch seit politische Entscheidungen von Fake News beeinflusst werden, herrscht Aufregung. Warum aber sind manipulierte Nachrichten erst jetzt ein Thema? Ganz einfach: Weil das Monopol der Medien gebrochen ist. Die sozialen Netze haben die Berichterstattung demokratisiert. Eigentlich eine gute Sache. Allerdings ist die Waage des Vertrauens nicht mehr im Gleichgewicht. Fake News sind ein Kollateralschaden der Mediendemokratisierung.

Eine Meldung ist schneller erfunden als recherchiert. Um eine echte News zu verfassen, muss man mit offenen Augen durch die Welt gehen, mit Menschen sprechen, sie verstehen und das Gesagte einordnen. Anschließend wollen die Fakten so aufgeschrieben sein, dass sich unmittelbar erschließt, was daran neu und wichtig ist.

Wie einfach ist es dagegen, ein Merkel-Selfie aus dem Netz zu fischen und zu behaupten, die neben der Kanzlerin abgebildete Person wäre ein gesuchter Terrorist. Natürlich geht eine solche Lüge ab wie Zunder, wenn sie erst auf den Bildschirmen ungehaltener Wutbürger erscheint. Auch die klassischen Medien sind mit schuld an dieser Transformation, weil sie jahrelang mit Clickbaits die niederen Instinkte ihrer Leser trainiert haben, anstatt deren Kommentare auf ihren Seiten ordentlich zu moderieren.

Etwas Besseres als Fake News und Donald Trump hätte der kriselnden Presse nicht passieren können. Auf einmal sind journalistische Werte gefragt, die fast in Vergessenheit geraten waren: Recherche, Gegenlesen, Faktencheck, die Leser einbinden und Nachrichten professionell gestalten. Wie Recherche geht, hat »ZEIT«-Reporter Mohamed Amjahid jüngst vorgemacht. Seit 2012 kursiert in der deutschen Presse die Information, dass »nach Schätzungen eines libanesischen Familienhelfers« 30 Prozent aller arabischstämmigen Männer in Berlin mit zwei Frauen verheiratet seien. Mohamed Amjahid hatte Zweifel an der Zahl und die verrückte Idee, ihrem Ursprung nachzugehen . . . was der Wahrheit diente und eine spannende Reportage ergab.

Mohamed Amjahid selbst lebt in Neukölln, ist einer von etwa 4900 arabischen Männern dort und kann nicht glauben, dass 1500 davon mehrfach verheiratet sein sollen: »Ich kenne keinen einzigen Polygamisten. Wo sind die alle?« Mehrere Tage lang fragte er in Moscheen, im Rathaus, bei der Arbeitsagentur, beim Jugendamt, bei Integrationsvereinen und in Shisha-Bars herum. Schließlich traf er den zitierten »Familienhelfer« Abed Halim Chaaban. »Die Journalisten, mit denen ich gesprochen habe, lügen, oder sie haben mich missverstanden«, sagt dieser. Er habe vor Jahren einmal einem Reporter erzählt, dass 30 Prozent der arabischen Ehen mit einer Scheidung endeten. »Von Polygamie war nie die Rede.«

Welchen Beitrag die Gestaltung von Nachrichten für deren Seriosität leistet, das diskutierte ich Mitte März auf der Bühne der Editorial-Design-Konferenz EDCH in München mit den Artdirektoren von »stern«, »Frankfurter Allgemeine Woche«, »ZEIT« und »Welt am Sonntag«. Technisch gebe es zwar eine Waffengleichheit zwischen den seriösen Medien und den Fake-News-Schleudern, nicht aber bei der gestalterischen Umsetzung.

»Make News Great Again!« Alle wissen, wie es geht, wir müssen es nur tun.

Infografiken zum Beispiel genießen hohe Glaubwürdigkeit, weil man die zugrunde liegenden Fakten erst mal verstehen muss, bevor sie visualisiert werden. Illustrationen sind Agenturfotos oft überlegen, weil ihnen ein Briefing der Redaktion vorausgeht. Auch die Typografie spielt eine Rolle: Klassiker aus vertrauenswürdigen Kanälen (Zeitung, Buch, Leitsystem) überzeugen eher als Systemschriften à la Arial oder Verdana. Im Übrigen gilt: Meinung deutlich von Fakten unterscheiden, Irrtümer richtigstellen und nichts Essenzielles ausblenden.

»Make News Great Again!« lautete das Fazit des Podiums. Alle wissen, wie es geht, wir müssen es nur tun. Mein abschließender Tipp: Bezieht das Netz mit ein in eure redaktionelle Reform! Hier wurde in den letzten Jahren viel Porzellan zerschlagen. Ich freue mich auf eine 180-Grad-Wende.

 

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