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Open-Source-Branding

Unser Kolumnist Jürgen Siebert beobachtet einen faszinierenden Wandel in der Marken­entwicklung – mit Mozilla und Audi als Vorreitern.

Foto: Norman Posselt

Der Auftritt einer Marke wird entwi­ckelt . . . für Außenstehende fühlte sich das in den letzten dreißig Jahren an wie: Alchemie. Eine nicht näher definierte Gruppe von Experten werkelte über Monate an Strategie, Story, Design und Regeln, bevor diese – wie ein Klumpen Gold – in die Hände des Kun­den gelegt wurden. Danach startete die Implementierung und irgendwann spä­ter – mit Riesentamtam – die öffentliche Präsentation. Bei großen Un­ternehmen dauert dieser Prozess schon mal zwei bis drei Jahre, manchmal sogar noch länger.

Branchenmedien wie PAGE, aber auch Marketing-Events konnten eine neue Identity zumeist erst vorstellen, wenn diese längst ihre Feuertaufe bestanden hatte, frühestens mit Beginn der Einführung. Redaktionell gesehen ist sie zu diesem Zeitpunkt eigentlich ein alter Hut. Zumal dann alle da­rüber berichten, denn als Startschuss für den Launch des (Re-)Designs dient ei­ne Pres­semitteilung, die breit gestreut wird. Für Journalisten gibt es nichts Drö­geres als Vollzugsmeldungen.

Selbst das Internet hat den Zeitablauf eines (Re-)Brandings kaum ver­än­dert. Zwar sind die Komponenten des Corporate Designs nicht mehr in dicken Handbüchern festgezurrt, son­dern liegen – gerne auch im fluiden Zu­stand – auf privaten Servern. Der Zugang zu diesen Daten und der Moment der Veröffentlichung folgen aber dem gleichen Prinzip wie zu analogen Zei­ten. Doch dies scheint sich jetzt zu ändern, und zwar radikal. Corporate De­sign entwickelt sich zu einem öf­fent­lichen Pro­zess, sowohl bei digita­len Unternehmen als auch bei etablier­ten Industri­en.
Dies erlebte jüngst Michael Johnson, Kreativdirektor und Inhaber der Londoner Agentur Johnson Banks – ein Unternehmensberater der alten Schule. Er wurde vor einem Jahr angefragt, ob er die Entwicklung des neuen Mozilla-Logos begleiten wolle. »Kein Pro­blem«, meinte Johnson, wie er auf letz­ten TYPO-Konferenz in Berlin erzählte. Nur eine Frage auf Seite 4 der Aus­schrei­bung bereite ihm Kopfschmer­zen: »Können wir das Rebranding mit allen im Netz teilen?« Mozillas Diens­te basieren auf Open-Source-Software, und da liegt es sehr nahe, auch das Rebranding gemeinsam mit der Commu­nity zu erschaffen.

Johnson erinnerte sich an das Redesign des Gap-Logos 2010. Nach der Präsentation wurde der Neuentwurf verrissen, aber nicht von Designkritikern, sondern von Tausenden Kunden, deren Stimme durch Social Media lau­ter erklang als die traditioneller Instan­zen. Nach wenigen Tagen kehrte Gap zum alten Logo zurück: Der Kunde ist König. Geradezu ermüdend war die Methode von Yahoo, ihren Fans einen Monat lang täglich eine neue Logoversion zur Abstimmung vorzulegen, wobei der Sieger intern schon längst gekürt war und am 30. Tag erschien.

Der Kunde ist die Marke.

Doch Michael Johnson machte mit und bereute es am Ende nicht. Der Prozess begann langsam und schmerz­haft, mit sieben Vorschlägen und über 600 Kommentaren dazu, nicht alle respektvoll formuliert. Aus der Shortlist kristallisierte sich schließlich der ziem­lich ge­niale Schriftzug moz://a heraus, geprägt von der Internet-Protokoll-Zei­chenfolge ://. Peter Bil’ak entwarf eine exklusive Schrift dazu, und fertig war der erste Markenauftritt einer neuen Generation, dirigiert und ausgeführt von Designprofis, moderiert und gesteuert von der Community. Der Kunde ist die Marke.

Auch der Automobilhersteller Audi schlug mit seinen Agenturen einen kon­sequent digitalen Weg ein. Hab’ ich Automobil geschrieben?! Nein, Audi ist jetzt auch Mobilitätsanbieter, so wie der gesamte Wettbewerb, der sich kon­sequent elektrifiziert und digitalisiert. Und deshalb ist auch der Markenauftritt kein Zustand mehr, sondern ein laufender Prozess. Regeln waren ges­tern, jetzt gibt es Spielräume.

Da war es dann nur konsequent, dass das Unternehmen mit den Agenturen Strichpunkt, KMS und SinnerSchrader eine offene Brand-Plattform entwickelte. Stupide Vorschriften, beispielsweise die Verwendung des Logos in verschiedenen Größen, ersetz­ten sie geschickt durch clevere Helfer, etwa den Ringe-Kalkulator. Al­le Elemente des Audi-Designs ein­schließ­lich Inter­faces, Werbetrailer und Icons sind Open Source und stehen für jeden zum Download bereit.

Warum macht Audi das? Weil das Unternehmen Digitalität nicht nur be­nutzt, sondern wirklich lebt. Weil die Kundengewinnung und die Begeis­te­rung für eine Marke bereits bei der Ent­stehung der Produkte beginnen. Weil das Branding von morgen überhaupt kei­ne Produkte mehr entwickelt, sondern Kunden.

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