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»Agenturen und Unternehmen müssen sich internationalen Mitarbeitern öffnen«

Der Nachwuchsmangel ist so extrem, dass zahlreiche Agenturen inzwischen gezielt im Ausland suchen. Kris­tin Louis, Geschäftsführerin von Designerdock Berlin, im Interview …

Designerdock Berlin

Die auf die Kommunikationsbranche spezialisierte Personalberatung Designerdock vermittelt viele internationale Kreative an Arbeitgeber in Deutschland, Österreich und der Schweiz, wobei der Bedarf bei Digitalagenturen sehr viel höher ist als der von Grafikdesignstudios. Zurzeit hat Designerdock allein 30 Anfragen für UX Designer auf dem Tisch. Der Nachwuchsmangel ist so extrem, dass zahlreiche Agenturen inzwischen gezielt im Ausland suchen. Welche Hürden Agenturen und ausländische Mitarbeiter dabei überwinden müssen, verrät Kris­tin Louis, Geschäftsführerin von Designerdock Berlin.

Aus welchen Ländern stammen die internationalen Kreativen, die sich bei Ihnen bewerben?
Kristin Louis: Die meisten Bewerber kommen aus der EU, weil sie für Deutschland kein Visum benötigen. Viele davon aus Kroatien, Tschechien, Italien oder Spanien. Zurzeit gibt es auch viele griechische Interessenten. Sie sehen in ihrem Heimatland oft keine Perspektive. In Serbien zum Beispiel ist die Agenturkultur noch sehr jung, und die Leute sind fasziniert von der hippen Berliner Design- und Start-up-Szene. Also arbeiten sie hier ein, zwei Jahre, um Erfahrungen zu sammeln und gehen dann wieder zurück oder ziehen weiter. In jungen Jahren reisen viele Kreative durch die Welt, denn sie können eigentlich überall anheuern.

Wir vermitteln aber auch hochqualifizierte Bewerber aus Nicht-EU-Ländern wie den USA, Brasilien, Australien oder China, speziell aus Singapur und Shanghai. Auch sie wollen oft in die Berliner Szene hineinschnuppern. Kreative aus den USA, Korea oder China bringen zudem einen Wissensvorschuss mit, weil diese Länder viel digitaler aufgestellt sind. Dieses Know-how ist für deutsche Agenturen natürlich interessant.

Sind eigentlich schon Geflüchtete auf dem Arbeitsmarkt angekommen?
Bisher haben wir noch keinen einzigen Designer und Developer aus aktuellen Krisengebieten vermittelt, wir haben nicht einmal Bewerbungen vorliegen. Ich vermute, dass sie meist nicht entsprechend ausgebildet sind. Wenn überhaupt, wird dies wohl erst später stattfinden, weil der Aufenthaltsstatus in den meisten Fällen noch nicht geklärt ist.

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Mehr zum Thema »Diversity in Agenturen« lesen Sie in PAGE 07.2017:

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Welche Hürden müssen Bewerber aus Nicht-EU-Ländern überwinden?
Sie brauchen auf jeden Fall eine Arbeitsgenehmigung und ein Einreisevisum. Das Visum müssen sie bei der deutschen Botschaft in ihrem Land beantragen, wegen der Arbeitsgenehmigung muss sich die Agentur, also der Arbeitgeber, an die Bundesagentur für Arbeit wenden. Voraussetzung für die Bewerber ist zudem ein Abschluss von einer in Deutschland anerkannten Universität oder Hochschule (siehe Kasten links). Es gibt aber noch eine zweite Anforderung: Um den Visadurchlauf schaffen zu können, müssen sie über 3300 Euro brutto verdienen. Erst dann erfüllen sie die Kriterien für einen qualifizierter Mitarbeiter, die Deutschland so gerne haben will.

Die Bürokratie ist für Arbeitgeber wie Arbeitsuchende eine große Hürde. Letztere verstehen oft nicht, welche Papiere nötig sind und an wen sie sich wenden müssen. Die Arbeitgeber wiederum könnten zwar professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, scheuen aber meist die Kosten, obwohl diese übersichtlich sind. Wir arbeiten zum Beispiel mit der Visaberaterin Barbara Rietzsch aus München (www.visa-and-expats-consulting.de) zusammen. Kostenpunkt im Normalfall: um die 1000 Euro.

Oft reisen Arbeitssuchende mit einem Besuchervisum nach Deutschland ein, um einen Arbeitgeber zu finden. Allerdings ist so ein Visum nur für wenige Nationen außerhalb der EU einfach zu erhalten. Antragssteller brauchen ent­weder eine Verpflichtungserklärung eines deutschen Bekannten oder müssen eine recht hohe Summe an vorhandenem Vermögen nachweisen.

Gibt es keine Möglichkeit, auch ohne Hochschul­abschluss in Deutschland zu arbeiten?
Kandidaten ohne anerkannten Uniabschluss haben so gut wie keine Chance auf einen Arbeitsplatz, auch wenn sie durch ihre Berufspraxis hoch qualifiziert sind. Ausnahmegenehmigungen sind schwer zu bekommen. Der Arbeitgeber muss dann gemeinsam mit dem Bewerber der Bundesagentur für Arbeit anhand von Dokumenten die Qualifizierung nachweisen und erklären, warum er genau diese Fachkraft benötigt. Ohne anerkannten Hochschulabschluss haben Bewerber erst mit einem Bruttogehalt von über 4000 Euro Aussicht auf ein Visum.

Welche Mindestanforderungen müssen Jobsuchende erfüllen, damit die Integration gelingen kann?
Wenn Bewerber nicht Deutsch sprechen, sollten sie zumin­dest Englisch verhandlungssicher beherrschen, sonst kön­nen sie den Teammeetings nicht folgen und sich nicht verständlich machen. Mittelmäßige Englischkenntnisse, wie sie viele Interessenten aus den Balkanstaaten und Griechen­land mitbringen, reichen nicht. Wir raten allen Bewerbern, Deutsch zu lernen. So verstehen sie die Denkweise und werden nicht auf englischsprachige Kunden und Produkte beschränkt. Je anspruchsvoller die Position und je komplexer die Aufgaben, desto wichtiger ist die deutsche Sprache.

Wir berichten in PAGE 07.2017, wie Agenturen auf die Herausforderung Diversity reagieren und welche administrativen Hürden dabei zu überwinden sind.

 

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